Die Saat des Heiligen Feigenbaums
Kneipe offen ab 18 Uhr
IRN/F/D 24, R: Mohammad Rasoulof, FSK: 16, 167 min
Prädikat besonders wertvoll
Oscar-nominiert, Zahlreiche Auszeichnungen auf internationalen Filmfestivals
Iman ist gerade zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran befördert worden, als nach dem Tod einer jungen Frau eine riesige Protestbewegung das Land ergreift. Obwohl die Demonstrationen zunehmen und der Staat mit immer härteren Maßnahmen durchgreift, entscheidet sich Iman für die Seite des Regimes und bringt damit das Gleichgewicht seiner Familie ins Wanken. Während der strenggläubige Familienvater mit der psychischen Belastung durch seinen neuen Job zu kämpfen hat, sind seine Töchter Rezvan und Sana von den Ereignissen schockiert und elektrisiert. Seine Frau Najmeh wiederum versucht verzweifelt, alle zusammenzuhalten. Dann stellt Iman fest, dass seine Dienstwaffe verschwunden ist, und er verdächtigt seine Familie…
Mit DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS liefert Mohammad Rasoulof, Gewinner des Goldenen Bären für „Doch das Böse gibt es nicht“, sein Meisterwerk ab: eine zornige und unverblümte Abrechnung mit dem Unrechtsregime im Iran, erzählt als brillanter, atemloser Politthriller und erfüllt mit authentischen Bildern der Proteste im Herbst 2022, die das Land in seinen Grundfesten erschütterten. Es ist ein unter schwierigen Umständen entstandener, geheim im Iran gedrehter Film, dessen Wirkkraft so groß ist, dass sich Rasoulof noch kurz vor der Weltpremiere im Wettbewerb von Cannes gezwungen sah, sein Heimatland zu verlassen.
Bei den 77. Filmfestspielen von Cannes wurde DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS mit minutenlangen Standing Ovations bedacht, von der Presse international gefeiert und mit dem Spezialpreis der Jury sowie vier weiteren Preisen ausgezeichnet.
Der majoritär von Rasoulofs Hamburger Firma Run Way Pictures hergestellte Film ist Deutschlands Oscarbeitrag in der Kategorie „Bester internationaler Film”.
Kneipe mit kleinem Speisenangebot ab 18 Uhr.
Der Film läuft auch am Mi 12.03. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.
Pressestimmen zum Film:
Der deutsche Oscar-Beitrag „Die Saat des heiligen Feigenbaums“
Von Mohammad Rasouloff/ 3sat.de/Kulturzeit
Im Jahr 2025 könnte der Oscar für den besten fremdsprachigen Film an „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ von Regisseur Mohammad Rasouloff gehen. Dass der iranische Regisseur für Deutschland ins Rennen geht, liegt an seinem engagierten deutschen Produzenten Mani Tilgner, es ist tatsächlich ein deutscher Film. Und ein ganz großartiger. Ein Politthriller, dem es gelingt, die Unterdrückung der Opposition im Iran auf besondere Weise in den Blick zu nehmen. Die politische Gesamtlage spiegelt sich, sozusagen en miniature beispielhaft im Leben einer Kleinfamilie. Es ist die Familie eines Täters.
Iman ist die Karriereleiter emporgeklettert, er wurde zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht berufen und soll jetzt Todesurteile gegen Oppositionelle unterschreiben – und zwar ohne die Akten überhaupt zu lesen. Belohnt wird er mit einer neuen Wohnung und einem höheren Gehalt. Erneut beschäftigt sich Regisseur Rasouloff mit dem Bösen und dessen Banalität. Denn dieser Iman ist ein liebevoller Familienvater, der sukzessive immer tiefer hineingerät in die Schuldspirale. Als draußen die Proteste nach dem Tod von Masha Amini ausbrechen, sind sie beiden Töchter auf der Seite der Demonstranten. Hier hat Rasouloff dokumentarische Bilder der Gewalt gegen die Proteste in seinen Film eingearbeitet, ganz nah an der Realität und hochgradig emotional. Rasouloff gelingt es ganz meisterhaft, die tiefe Kluft innerhalb der iranischen Gesellschaft so beklemmend wie berührend einzufangen. Und er hat viel riskiert für seinen Film. Noch bevor der fertig war, wurde Rasouloff der Pass abgenommen, er selbst angeklagt. Acht Jahre Gefängnis standen im Raum. In letzter Minute konnte er sich – zu Fuß über eine Bergroute – bis nach Deutschland durchschlagen. In Cannes hat der Film die Kritiker regelrecht umgehauen, er bekam den großen Preis der Jury.
Die Saat des heiligen Feigenbaums
Peter Gutting/ filmrezensionen.de
20 Jahre hat er darauf hingearbeitet, nun geht der Traum in Erfüllung: Iman (Misagh Zareh) wird Ermittlungsrichter am iranischen Revolutionsgericht. Doch die Enttäuschung folgt auf dem Fuß. Obwohl absolut regimetreu, glaubt der Familienvater noch an Prinzipien. Er will erst die Akten studieren, bevor er ein Urteil unterschreibt oder gar die Todesstrafe verhängt. Doch dazu lassen ihm seine Vorgesetzten keine Zeit. Zumal gerade die Proteste des Jahres 2022 ausbrechen. Die Losung „Frau, Leben, Freiheit“ hallt nach der tödlichen Polizeigewalt gegen Jina Masha Amini wegen eines angeblich schlecht sitzenden Kopftuchs durch Teherans Straßen. Während Imans Frau Najmeh (Soheila Golestani) lange Zeit loyal zu ihrem Mann steht, hegen die fast erwachsenen Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) durchaus Sympathien für die Forderungen der Frauenbewegung.
Verbrechen eines „Gottesstaates“
Eigentlich glaubte man, alles über die blutig niedergeschlagenen Proteste zu wissen. Doch das dokumentarische Handy-Material, das Regisseur Mohammad Rasoulof in seinen Spielfilm einschneidet, übertrifft die damaligen Fernsehbilder bei Weitem. Sicherheitskräfte schießen wahllos in Autos, schlagen auf wehrlos am Boden Liegende ein, vergreifen sich an Kindern. Noch drastischer führt eine Spielfilmsequenz das Ausmaß der Gewalt vor Augen. Tochter Rezvan bringt ihre Freundin Sadaf (Niousha Akhshi) schwerverletzt zu sich nach Hause. Mutter Najmeh versorgt in einer langen Einstellung deren Wunden. Mit der Pinzette zieht sie vorsichtig kleine Kugeln aus Sadafs linker Gesichtshälfte. Man hatte ihr mit einer Schrotflinte direkt ins Gesicht geschossen. In Zeitlupe spült die Mutter die Kugeln ins Waschbecken, das Blut an ihren Händen lässt sich kaum abwaschen.
Vielfach ist das iranische Kino dafür gelobt worden, dass es subtile Meisterwerke hervorbringe, trotz und gerade wegen der Zensur. Mohammad Rasoulof, der wegen seiner künstlerischen Arbeit zu acht Jahren Haft verurteilt wurde und kurz vor dem diesjährigen Festival in Cannes heimlich aus dem Iran nach Europa floh, geht mit seinem neuen Werk einen anderen Weg. Die Kritik an seinem Land ist ungeschminkt, furchtlos und allein dem Willen verpflichtet, der Welt die Wahrheit zu zeigen. Das macht Die Saat des heiligen Feigenbaums aber nicht zu einem Pamphlet, sondern zu einem cineastischen Kunstwerk, das beides zugleich ist: ästhetisch brillant und politisch aufrüttelnd. Wer sich nicht für die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Mullah-Diktatur interessiert, wird den Film auch in erster Linie als vielschichtiges Familiendrama genießen können. Ganz zu schweigen von der meisterlichen Spannungsdramaturgie, die allein den Kinobesuch lohnt.
Keinem Zuschauer wird die Pistole entgehen, die immer wieder ins Bild gerückt wird. Und das aus mehrfach guten Gründen. Zum einem folgt der Film damit der klassischen Kinoregel, dass aus einer solchen Waffe irgendwann auch gefeuert werden wird, spätestens beim auch hier spektakulären Showdown. Zweitens steht die Waffe, die dem frisch gebackenen Untersuchungsrichter zu Verteidigungszwecken ausgehändigt wird, auch für die Gewalt, die das Land nicht erst seit den „Frau, Leben, Freiheit“-Demonstrationen durchzieht. Und drittens ist der Revolver auch Auslöser des Thrills. Denn irgendwann ist er aus der heimischen Nachttisch-Schublade verschwunden. Falls der Untersuchungsrichter ihn nicht wiederfindet, drohen ihm das vorzeitige Ende seiner Karriere und sogar eine Haftstrafe.
Während der Proteste des Jahres 2022 saß Mohammad Rasoulof im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. In den Augen des Regimes hatte er mit seinen drei vorigen Filmen „Propaganda gegen das System“ betrieben. In der Haft lernte er einen leitenden Angestellten der Anstalt kennen, der ihm gestand, er wolle sich am liebsten erhängen – wegen dem Hass auf seine Arbeit und den übermächtigen Gewissenbissen. Ein wenig davon ist auch in die Figur des Ermittlungsrichters eingeflossen. Imans Charakter ist nicht sadistisch, er wird nicht als Unmensch gezeichnet, sondern als sorgender Familienvater, ähnlich dem Familienvater Heshmat aus der ersten Episode von Rasoulofs Doch das Böse gibt es nicht (2020), dem Gewinner des Goldenen Bären bei der Berlinale. Es sind nicht die Menschen, die ihre Familien und das Land ruinieren. Es ist das System, das sie kaputtmacht.
Vielschichtige Charaktere
Noch vielschichtiger ist die Figur von Ehefrau und Mutter Najmeh gezeichnet. Obwohl sie ihrem Mann den Rücken freihält, fordert sie ihn auch und balanciert zudem die Konflikte zwischen Vater und Töchtern aus, so gut und so lange es geht. Jede und jeder aus der Familie erscheint so authentisch, wie man es von anderen iranischen Meisterregisseuren kennt, allen voran Asghar Farhadi (Nader und Simin – Eine Trennung, 2011). Aus dem feinen Netz von Zärtlichkeit und Fürsorge, von Ängsten und Verrat spinnt Mohammad Rasoulof jene Zündschnur, die den Traum von einem liebevollen Zuhause unter dem Druck des Systems schließlich explodieren lässt.
Trotzdem ist Die Saat des heiligen Feigenbaums kein pessimistischer Film. Sein Ende gehört den dokumentarischen Handyvideos. Sie zeigen dieses Mal nicht die staatliche Brutalität. Sondern fröhliche Frauen, die ihre Kopftücher verbrennen und die Finger zum Siegeszeichen spreizen. „German Films“, die Auslandsvertretung des deutschen Films, hat die Fackel der politischen Botschaft inzwischen aufgenommen. Sie schickt die Koproduktion als deutschen Beitrag ins Oscar-Rennen um den besten nicht-englischsprachigen Film. Kein schlechtes Zeichen angesichts der lange nachgiebigen Haltung der deutschen Regierung gegenüber dem Mullah-Regime.