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A Real Pain

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USA 24, R: Jesse Eisenberg, FSK: 12, 90 min
Kneipe mit kleinem Speisenangebot ab 18 Uhr
Oscar für den besten Nebendarsteller

David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) könnten verschiedener kaum sein: Der stille David ist sehr darauf bedacht, möglichst viel Struktur in seinem Leben zu haben, während der hibbelige Benji ein Freigeist voller Spontanität ist.
Was die zwei Cousins jedoch teilen, ist die Liebe zu ihrer jüdischen Großmutter. Nach deren Tod beschließen die US-Amerikaner aus diesem Grund, ihr die letzte Ehre zu erweisen und eine Reise nach Polen anzutreten, um mehr über ihr Leben zu erfahren. In Warschau schließen sie sich einer teils skurril ablaufenden „Holocaust-Tour“ zu den historischen Stätten jüdischen Lebens an. Dabei bleiben Reibereien zwischen den beiden nicht aus. Was ursprünglich eine Reise in die Vergangenheit werden sollte, konfrontiert die jungen Männer auf teils unbequeme, schmerzhafte, aber auch bewegende Weise mit der Gegenwart, in der sie ihre Beziehung zueinander und ihre Familiengeschichte hinterfragen. A Real Pain ist dabei ein kurzweiliger, kluger und berührender Film, der geschickt zwischen Leichtigkeit und Schwere balanciert. Kieran Culkin erhielt den Oscar als bester Nebendarsteller.

Der Film läuft auch am Mi 26.03. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.

Pressestimmen zum Film

A Real Pain (Irene Genhart, Filmdienst)

Buddy- und Roadmovie um zwei US-Amerikaner, die auf den Spuren ihrer verstorbenen Großmutter durch Polen reisen und historische Stätten jüdischen Lebens besuchen.

David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) treffen sich in der Abflughalle des John-F.-Kennedy-Flughafens in New York. David ist nervös und angespannt, Benji hibbelig und freudig aufgeregt. Schon beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten aus „A Real Pain“ tritt zutage, worauf der von Jesse Eisenberg auch inszenierte Film aufbaut und worum es darin geht: um zwei Männer, die miteinander vertraut sind und sich mögen, von Temperament und Charakter her aber total verschieden sind.

Die beiden sind Cousins, ungefähr gleich alt und jüdischer Herkunft. Eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte ihre kürzlich verstorbene Großmutter Dory. Sie wurde in Polen geboren und ist, wie sie zu sagen pflegte, dank tausend Wunder dem Holocaust entkommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte sie in die USA aus, wo sie sich eine neue Existenz aufbaute. Dory hat ihren Enkeln ab und zu von ihrer früheren Heimat erzählt, von ihrer dort noch lebenden Familie und dem Haus, in dem sie aufwuchs. Sie selbst aber ist nie wieder dorthin zurückgekehrt.

Auf nach Polen
Auch Benji und David kennen Polen bisher nur aus Erzählungen und von Fotos. Doch Dory hat ihnen genug Geld hinterlassen, weshalb sie sich von der ehemaligen Heimat ihrer Großmutter und damit einem Teil ihrer eigenen Herkunft ein eigenes Bild machen können. Sie fliegen nach Warschau. Dort schließen sie sich einer Reisegruppe an, die unter der Führung eines Engländers namens James (Will Sharpe) während einer mehrtägigen Tour historische Stätten jüdischen Lebens besichtigen will. Die Gruppe ist gemischt; die Teilnehmer stammen aus den USA oder Kanada, sind jüdisch und zum Teil polnischer Herkunft.

Marcia (Jennifer Grey) lebt in Los Angeles und hofft nach ihrer Scheidung in dem Land, aus dem ihre Großeltern flohen, zu sich selbst zu finden. Mark (Daniel Oreskes) und Diane (Liza Sadovy) sind seit Jahren verheiratet, unternehmen aber erst jetzt die bereits vor der Hochzeit geplante Reise ins Land ihrer Herkunft. Eloge (Kurt Egyiawan), der vor Jahren dem Völkermord in Ruanda entkam und in Kanada zum Judentum konvertierte, will mehr über die jüdische Geschichte erfahren.

Nach dem ersten Kennenlernen besichtigt man in Warschau einige historische Stätten jüdischen Lebens, etwa das als „jüdischer Wohnbezirk“ apostrophierte ehemalige Ghetto und das Jüdische Museum. In den Tagen danach reisen sie im Zug quer durchs Land. Dabei werden touristisch aufbereitete Orte abgeklappert, die in ziemlich jedem Reiseführer zur jüdischen Vergangenheit von Polen Erwähnung finden. Gedreht wurde an Originalschauplätzen, unter anderem auch im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek, wo bisher noch nie Dreharbeiten für einen Spielfilm stattgefunden haben.

Den Toten und den Lebenden Respekt zollen
Die Stimmung unter den Reisenden ist mal heiter, mal verhalten. Ab und zu übermannt eine Person die persönliche Betroffenheit und es wird emotional. Der Reiseführer James liefert an jedem Ort pflichtschuldig die dazugehörenden Zahlen und Fakten. So lange, bis ihn Benji beim Besuch des ältesten jüdischen Friedhofs darauf aufmerksam macht, dass man sich auf einer Gedenkstätte befinde und es angebrachter wäre, den Toten Respekt zu zollen.

Benji kommt innerhalb der Gruppe die Rolle eines „Klassenkaspers“ zu. Er ist Single, aufgeweckt, charmant und sehr empfindsam. Er versteht es, Menschen zu begeistern und mitzureißen. Er bringt die Gruppe und James auf dem Friedhof nicht nur dazu, Steine auf die Grabmale zu legen, sondern animiert sie vor dem Denkmal des Warschauer Aufstands auch zu einer ausgelassenen Fotosession.

Zudem spricht er fast immer aus, was ihm gerade durch den Kopf geht. Etwa auf der Fahrt nach Lublin, dass er es als störend empfinde, auf einer historischen Besichtigungstour im Zug in der 1. Klasse zu sitzen und dieselbe Stecke zu fahren, die andere gut achtzig Jahre zuvor in Güterwagen eingepfercht bewältigen mussten. Benji hat aber auch eine andere, dunklere Seite, die seinen Optimismus und seine flammende Begeisterung urplötzlich in dumpfe Melancholie und tiefe Trauer verwandelt.

David sagt über Benji einmal, dass er ihn liebe und hasse. David ist verheiratet, hat einen Sohn – der im Film von Eisenbergs eigenem Sohn Banner Eisenberg gespielt wird – und arbeitet in der Werbung. Er ist zurückhaltend, pflichtbewusst und stets darum besorgt, was sich ziemt und was nicht. Man könnte ihn auch neurotisch nennen. David lässt sich in guten Momenten von Benji aus der Reserve locken, steigt mit ihm nachts verbotenerweise aufs Dach des Hotels, raucht mit ihm einen Joint und schaut zusammen mit seinem Cousin hinunter auf die leuchtende Stadt.

Wo die Großmutter aufgewachsen ist
Manchmal aber werden ihm Benjis Spontaneität und das, was dadurch ausgelöst wird, zu viel. Dann geraten die beiden in Streit und schweigen sich böse an. Mitunter aber macht sich David auch ernsthafte Sorgen um Benji, der vor einer Weile in einer Klinik war. Nach dem Besuch eines KZs trennen sich die beiden von der Gruppe und machen sich auf den Weg zum Haus, in dem ihre Großmutter aufgewachsen ist; im Film ist schließlich das Haus zu sehen, in dem ihre Tante Dory lebte, bevor der Holocaust die Familie in die Flucht trieb. David und Benji wechseln mit den Menschen, die heute dort wohnen, ein paar Worte, betreten das Haus aber nicht und trollen sich wieder.

„A Real Pain“ ist nach „When You Finish Saving the World“ der zweite Film von Jesse Eisenberg als Regisseur und Drehbuchautor. Die Idee dazu kam ihm während einer 2008 unternommenen Reise durch Polen, deren Eindrücke er in einem Theaterstück mit dem Titel „The Revisionist“ verarbeitete, worin ein junger US-Amerikaner seine in Polen lebende ältere Cousine besucht. Der Stoff ließ Eisenberg danach nicht los. Es dauerte aber über 15 Jahre, bis er auf ein Inserat stieß, das zu einer „Holocaust Tour (mit Lunch)“ in Polen einlud und ihm die Idee eines Road- & Buddy-Movies schenkte.

„A Real Pain“ wurde mit vergleichsweise bescheidenem Budget als Autorenfilm realisiert. Die Story folgt den Stationen einer touristischen Tour. Die Figuren sind von real existierenden Personen inspiriert, die Eisenberg kennt; auch die des zum Judentum konvertierten Ruanda-Kanadiers Eloge und die des übereifrigen Philosemiten James. Der Film ist sichtbar „on the Road“ entstanden. Die Kamera von Michał Dymek folgt den Regeln dokumentarischen Schaffens; vieles ist spontan entstanden, manches improvisiert. Nicht nur Kieran Culkin und Jesse Eisenberg überzeugen durch ihr authentisch wirkendes Spiel, sondern auch die Nebendarsteller:innen, etwa Will Sharpe, Jennifer Grey oder Kurt Egyiawan.

Ein Ereignis in der Gegenwart
„A Real Pain“ ist weniger ein abenteuerliches Road Movie als der nüchterne Bericht einer Reise, auf der zwar einiges passiert, sich aber nichts ereignet, was das Leben groß ändern würde. Man trifft sich, geht ein paar Schritte gemeinsam und trennt sich. Vielleicht begegnet man sich irgendwann wieder, vielleicht nicht. Das Erlebte behält man in Erinnerung. Doch es wird im Laufe der Jahre verblassen, sich abnutzen und die Erzählung darüber wird sich allmählich verändern. Das Leben, auch das der beiden Cousins, wird stetig weitergehen. Diese Einsicht ist tröstlich am Ende eines Filmes, der der anfangs im Raum schwebenden Prämisse aufwühlender Vergangenheitsbewältigung nur bedingt stattgibt, aber sehr schön zeigt, dass eine „Reise in die Vergangenheit“ immer auch von der Lebensrealität der Gegenwart geprägt ist.


A Real Pain (Michael Meyns, Programmkino.de)

Vor einigen Jahren spielte Jesse Eisenberg in einem Woody Allen-Film eine Art Alter Ego des legendären jüdischen New Yorker Neurotiker, nun erweist er sich vor und hinter der Kamera als möglicher Nachfolger: „A Real Pain“ erzählt auf überaus gelungene Weise von einer Reise nach Polen, in der zwei jüdische Amerikaner auf humorvolle, aber doch tiefsinnige Weise mit ihrer Vergangenheit, aber vor allem der Gegenwart konfrontiert werden.

Allein sitzt Benji (Kieran Culkin) am Flughafen in New York, inmitten von hektischen Reisenden scheint er ein Pol der Ruhe zu sein. Er wartet auf seinen Cousin David (Jesse Eisenberg), der die Idee zu einer Reise in die gemeinsame Vergangenheit gehabt hat. Beider Großmutter ist vor kurzem gestorben, ihr Erbe ermöglicht den Cousins, die sich einst Nahe standen, aber inzwischen nur noch wenig Kontakt haben, eine Reise nach Polen, in das Land ihrer Vorfahren.

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges konnte ihre jüdische Großmutter fliehen, zurück in ihre Heimat reiste sie nie wieder. In Warschau schließen sich die Cousins einer Reisegruppe an, als deren Leiter James (Will Sharpe) fungiert, ein britischer Akademiker, der dementsprechend akademisch über die Orte des Grauens berichtet, die die Gruppe besucht. Neben den Cousins nimmt unter anderem ein amerikanisches Ehepaar an der Reise in die Vergangenheit teil, aber auch ein Mann aus Ruanda, der den dortigen Genozid überlebte und danach zum Judaismus konvertierte. Gemeinsam reist die Gruppe durch das gegenwärtige Polen, in dem die Spuren der einst großen jüdischen Bevölkerung nur noch schwer zu finden sind, besuchen Monumente und Mahnmale und am Ende auch das Konzentrationslager Majdanek.

Ein klassisches erzählerisches Muster verwendet Jesse Eisenberg für seinen zweiten Spielfilm, das deutschen Zuschauern bekannt vorkommen mag: Erst vor wenigen Monaten lief Julia von Heinz „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ im Kino, in dem ebenfalls zwei Personen, dort ein Vater-Tochter Gespann, nach Polen reisen und sich auf die Spuren der Vergangenheit zu begeben. Im Gegensatz zu von Heinz ist Eisenberg allerdings selbst jüdischer Herkunft, hat Verwandte, die dem Holocaust entkamen, eine Großmutter, die aus Polen emigrierte. Und er hat sich in den letzten Jahren, in zum Beispiel im Magazin The New Yorker erschienenen Texten, als pointierter, ironischer Beobachter erwiesen, der mit unterschwelligem Humor über existenzielles und allzu menschliches Verhalten schreibt. In seinem zweiten Film benutzt er nun eine einfache Road Movie-Struktur, auf deren Weg man den beiden scheinbar unterschiedlichen Cousins nahekommt.

Besonders Kieran Culkin, der in den letzten Jahren vor allem durch die erfolgreiche Fernsehserie „Succession“ bekannt geworden ist, glänzt dabei als anfangs mit sich im Reinen wirkender Mann, dessen Sorgen sich erst nach und nach offenbaren. Anstrengend wirkt dieser Benji oft, wenn er die Reisegruppe und ihren Leiter konfrontiert, scheinbare Wahrheiten in Frage stellt und dadurch der emotionalen Wahrheit viel näherkommt, als ihr akademischer Reiseleiter. Ganz beiläufig inszeniert Eisenberg die Reise, lässt die Dialoge und Situationen für sich stehen und erweist sich gerade durch diese Zurückhaltung als genauer Beobachter einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit.


„A Real Pain“: Ziemlich beste Cousins auf Holocaust-Tour (Jakob Thaller, Der Standard)

In der Tragikomödie reisen zwei von Jesse Eisenberg und Kieran Culkin gespielte Cousins nach Polen, um die Herkunft ihrer verstorbenen Großmutter zu erkunden

Wie erinnert man sich an Schmerz, den Generationen vor einem erlebt haben? Vor allem bei Nachfahren von Holocaust-Überlebenden sind transgenerationale Traumata ein prägendes Thema. Im gut gemeinten Drama Treasure reisten Lena Dunham und Stephen Fry bereits im Vorjahr nach Polen, um Antworten zu suchen. Jesse Eisenberg, hier auch Drehbuchautor und Regisseur, legt mit der ähnlichen Geschichte A Real Pain den lustigeren und zugleich traurigeren Film vor.

Es beginnt mit zwei Cousins. Voneinander haben sie sich mindestens so weit entfernt wie von ihrer Herkunft. Benji (Kieran Culkin) ist aufmüpfig und emotional instabil. Ein Mensch, der zum Mittelpunkt jedes Raums wird, den er betritt – im Positiven wie im Negativen. David (Jesse Eisenberg) hingegen, dessen Leben von Job, Familie und angstlösenden Medikamenten erfüllt ist, schielt neidisch auf ihn. Obwohl er sein Leben viel besser im Griff hat, zumindest im traditionellen Sinn. Gemeinsam treten sie eine Reise nach Polen an. Sie wollen wissen, wo ihre kürzlich verstorbene Großmutter herkam, die aus einem Konzentrationslager flüchtete und sich in den USA ein neues Leben aufbaute.

Neurotiker trifft Maniker
Wie immer sieht Jesse Eisenberg so aus, als wäre es ihm ganz unangenehm, dass er sich gerade dort befindet, wo er ist. Habitus: Nervösler. Nicht zu verwechseln mit Michael Cera. Als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wurde Eisenberg spätestens 2010 in David Finchers Drama The Social Network bekannt. Nach mehreren ähnlichen Rollen gab er 2022 mit When You Finish Saving the World sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor. In A Real Pain erzählt er ein wenig seine eigene Geschichte: Aufgewachsen im New Yorker Stadtteil Queens als Sohn von Eltern polnisch-jüdischer und ukrainisch-jüdischer Herkunft, leidet er auch im echten Leben unter Zwangsstörungen.

Sich selbst lässt Eisenberg auf einen manisch wirkenden Kieran Culkin prallen. Lange Zeit der weniger berühmte Bruder von Macaulay Culkin, der Anfang der 1990er als Kevin gleich zweimal zu Hause vergessen wurde, erspielte er sich in der HBO-Serie Succession (2008–2023) in den letzten Jahren zu Recht eigene Berühmtheit. Einen ähnlichen Charakter, diesmal aber ohne Reichtum, mimt er hier: irgendwie charmant und unberechenbar, emotional zwischen Höhen und Tiefen umherspringend. „Sie werden doch keine zwei Juden in Polen wegen ein bisschen Marihuana verhaften“, erklärt er David noch, bevor dieser voller Angst ins Flugzeug steigt.

Polen. Hotel. Kann man hier auf das Dach klettern? Kiffen! Mit seiner Impulsivität bringt Benji Unruhe in die Reisegruppe der Holocaust-Tour – steckt sie aber auch mit seiner Energie an. Gemeinsam mit einer frisch geschiedenen Frau aus Los Angeles, einem alten Ehepaar mit jüdischen Vorfahren und einem Überlebenden des Völkermords in Ruanda, der sich aufgrund seiner eigenen Geschichte mit dem Judentum identifiziert, begeben sie sich auf Herkunftssuche. Begleitet werden sie dabei vom britischen Tourguide James (sehr witzig: Will Sharpe), selbst kein Jude, aber bemüht darum, alles richtig zu machen.

Im Schatten der Weltgeschichte
A Real Pain ist ein Film, der in seinen 90 kurzweiligen Minuten geschickt zwischen Leichtigkeit und Schwere balanciert. Inmitten der Absurdität des Katastrophentourismus berühren Situationen plötzlich. Musikalisch untermalt wird die polnische Landschaftsszenerie durch Stücke von Frédéric Chopin, virtuos eingespielt vom israelisch-kanadischen Pianisten Tzvi Erez. Auf durchaus unreife Weise suchen die beiden Cousins sich selbst im Schatten der Weltgeschichte – und schweigen in den richtigen und wichtigen Momenten.

Für seine Darstellung wurde Kieran Culkin mit einem Golden Globe und dem Oscar als bester Nebendarsteller ausgezeichnet – obwohl ihm Jesse Eisenberg eindeutig die Hauptrolle überlässt. Wie Culkin diesen tief in sein Gesicht gezeichneten Schmerz spielen kann, ohne ihn wirklich zu kennen, ist schwer vorstellbar. Oft sind es die lautesten Menschen, die am leisesten leiden.


Wo es wirklich wehtut (Tim Caspar Boehme, TAZ)

Schauspieler und Regisseur Jesse Eisenberg erzählt in „A Real Pain“ vom Polen-Roadtrip zweier Cousins. Und stellt dabei Fragen zum Umgang mit Erinnerung.

Was tut man nicht alles für die Familie. Auch wenn es sich um eine Reise mit einem Verwandten handelt, der einem längst nicht mehr so nah ist wie einst. David hat jedenfalls seinem Cousin Benji versprochen, sich gemeinsam auf die Spuren der vor kurzem gestorbenen Großmutter zu begeben. Sie stammte aus Polen und war vor allem Benji sehr nah. Nach ihrem Tod ging es ihm „nicht so gut“, wie er David gesteht.

„A Real Pain“ nennt der Schauspieler Jesse Eisenberg seine zweite Regiearbeit, und die Entscheidung des Verleihs, den Titel unübersetzt zu lassen, ist die einzige Möglichkeit, den doppelten Sinn, in dem er gemeint sein dürfte, zu erhalten. Denn einerseits geht es in dieser Geschichte um echten Schmerz, den die Protagonisten fühlen, andererseits hat man es mit einer Begegnung zu tun, bei der einer der Beteiligten dem anderen kräftig auf die Nerven geht und so zu „a real pain“ wird.

Die Charaktere der Hauptfiguren sind recht gegensätzlich angelegt. David ist beruflich erfolgreicher Familienvater, arbeitet im Online-Anzeigengeschäft, hat Frau und Tochter und ist auffällig zwangsgestört. Jesse Eisenberg, der in seinem Hauptberuf ein bisschen auf neurotische Typen abonniert ist, verkörpert ihn mit einer guten Mischung aus konstanter körperlicher Angespanntheit und einer gehörigen Portion Dauerfremdschämen. Dazu gleich mehr.

Kraftzentrum des Films
Kieran Culkin bildet mit seinem Benji hingegen das Kraftzentrum des Films. Privat hat er seine Schwierigkeiten, auch in der Arbeitswelt scheint er nicht zurechtzukommen, dafür ist er einfühlsam und kontaktfreudig bis zur Übergriffigkeit. Trotz gelegentlicher Gefühlsausbrüche hat Benji etwas entwaffnend Gewinnendes. Das macht sich gleich zu Beginn der Reise bemerkbar. Denn sie sind nicht zu zweit unterwegs, sondern haben eine organisierte Gruppenreise gebucht, auf der sie der Geschichte des Holocaust in Polen nachgehen. Ihre jüdische Großmutter war vor den Nazis geflohen, jetzt bereisen David und Benji Städte wie Warschau und Lublin, unternehmen einen Abstecher ins Konzentrationslager Majdanek, abends machen sie Station in Restaurants für die Geselligkeit.

Die Spannungen zwischen David und Benji kündigt Eisenberg schon zu Beginn des Films an, wenn David sich auf den Weg zum Flughafen macht und alle paar Minuten eine Nachricht auf Benjis Anrufbeantworter hinterlässt, um herauszufinden, ob der Cousin womöglich verspätet ist. Benji reagiert auf keinen der Anrufe, überrumpelt David dann aber, als er plötzlich – und pünktlich – wie aus dem Nichts auftaucht. Auch auf der eigentlichen Reise kommt es immer wieder zu Situationskomik, wenn der verzweifelt um Kontrolle bemühte David vor der entregelten Spontaneität Benjis kapitulieren muss.

Posen vor Denkmal
In einer besonders schönen Szene steht die Gruppe vor dem Denkmal des Warschauer Aufstandes mit Statuen von dynamisch voranstürmenden Kämpfern. Benji stellt sich in kämpferischer Pose dazu und bittet David, ein Foto zu machen. David findet das ziemlich respektlos und möchte lieber nicht, doch nach und nach bringt Benji die gesamte Gruppe dazu, sich um ihn herum zu gruppieren. David bleibt als einziger davor stehen, während ihm die anderen Teilnehmer der Reihe nach ihr Smartphone in die Hand drücken, damit er für sie ein Bild knipst.

Eisenberg gelingt es durch genaues Beobachten, aus solchen Momenten keinen Klamauk zu machen. Denn er bildet damit die peinlicheren Aspekte eines Tourismus‘ ab, der sogar in historisch seriöser Absicht nicht vor Albernheiten gefeit ist oder vor Gruppendynamiken, die an Schulklassenausflüge denken lassen. Auch zeigt er die fragwürdigeren Aspekte dieser Reiseangebote selbst, etwa wenn die Gruppe einen jüdischen Friedhof besichtigt und der nichtjüdische britische Reiseleiter James (Will Sharpe) anfängt, ausgiebig über das Alter der Grabstätten zu dozieren. Irgendwann unterbricht ihn Benji entnervt und weist ihn zurecht, dass das doch immerhin Gräber von echten Menschen seien und nicht bloß irgendwelche Steine.

Musik von Frédéric Chopin
Die Inszenierung wählt Eisenberg durchgehend nüchtern. Gefilmt ist „A Real Pain“ in klaren, manchmal etwas glatt wirkenden Bildern. Als Soundtrack verwendet er Klavierstücke des polnischen Komponisten Frédéric Chopin, gespielt vom israelischen Pianisten Tzvi Erez. Die Musik hat dabei nie etwas plakativ Illustrierendes und ist deutlich genug in den Ton gemischt, um nicht Gefahr zu laufen, auf Hintergrundgeklingel reduziert zu werden.

Gegen Ende machen David und Benji ohne den Rest der Gruppe noch einen Abstecher ins Dorf ihrer Großmutter. Ihren Versuch, ein paar gestapelte Steine vor deren ehemaliger Haustür zu lassen, als Zeichen, dass sie dort gewesen sind, zeigt Eisenberg mit zärtlicher Trockenheit als Ausdruck für die Hilflosigkeit der Cousins, sich zum eigentlichen Ziel ihrer Reise zu verhalten. Immerhin werden sie von den Anwohnern nicht verprügelt.