Der Brutalist
Kneipe offen ab 18 Uhr
GB 24, R: Brady Corbet, FSK: 16, 215 min
Prädikat besonders wertvoll
Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Oscars für besten Hauptdarsteller (Adrien Brody), beste Kamera und beste Filmmusik
1947 emigriert der ungarisch-jüdische Architekt László Toth (Adrien Brody), der mit seiner Frau Erzsébet (Felicity Jones) die Shoah überlebt hat, dann aber von ihr getrennt wurde, in die USA. Dort findet der Mann, der einst am Dessauer Bauhaus ausgebildet wurde, nach einigen Schwierigkeiten in dem Millionär Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) einen mächtigen Gönner, der ihn mit der Planung eines Bauprojekts beauftragt, bei dem er seine modernistischen Ideen umsetzen kann. Die Zusammenarbeit entpuppt sich jedoch als doppelbödige Angelegenheit, und auch die erlittenen Traumata lassen sich selbst dann nicht abschütteln, als seine Frau wieder mit ihm vereint ist.
Ein in 70mm gedrehtes Filmepos um einen Mann, der dem europäischen Faschismus entkommen ist, in den USA aber auf einen Herrenmenschen großkapitalistischer Prägung trifft. Die Textur der Bilder und eine besondere Farbstimmung verleihen dem Film eine ans Kino der 1950er-Jahre erinnernde Atmosphäre.
Der Gewinner von drei Oscars (bester Hauptdarsteller, beste Kamera, beste Filmmusik), drei Golden Globes (Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller) sowie des Silbernen Löwen für die Beste Regie bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2024 zeigt als tiefgründiges Epos, wie Architektur zur Metapher für menschliche Stärke und Zerbrechlichkeit wird.
Der Film läuft auch am Mi 16.04. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.
Pressestimmen zum Film
Der Brutalist (Rüdiger Suchsland, Filmdienst)
Im VistaVision-Format gedrehtes Filmepos über seinen dem Holocaust entronnenen Architekten, der in den USA mit einem gigantischen Bauwerk seinen Traumata zu entkommen hofft.
Der Anfang ist buchstäblich umwerfend. Die Stimme einer Frau erzählt in Briefform aus dem Off von einem Verhör. Die Briefschreiberin selbst ist das Objekt der scharfen Befragung. Folter wird angedeutet. Die Sprache ist ungarisch; der Brief richtet sich an einen „Laszlo“. Das Verhör könnte sich während des ungarischen Faschismus im Zweiten Weltkrieg ereignet haben, oder irgendwann während des Stalinismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Doch plötzlich wechselt die Szenerie: Man sieht nun viel Braun und Grau, sieht einen Mann, sieht mehrere Männer in einem dunklen Raum. Körper und Stimmen drängeln sich, es ist laut, die Atmosphäre bedrängend, unangenehm. Die Kamera taumelt, die Perspektive ist schief und verdreht, das Licht kommt von oben. Dann erst begreift man: Es ist ein Schiff, dessen Deck sich gerade öffnet. Das erste, was zu sehen ist, ist die auf dem Kopf stehende, dann horizontale Freiheitsstatue.
Wird sie je wieder auf ihren Füßen stehen? Das ist eine der Fragen, die sich von nun an durch den Film „Der Brutalist“ ziehen. Schon im ersten Bild wird sie nahegelegt, im verzerrten Blick, den der Protagonist von Amerika einfängt, nachdem nach einer langen Reise die Luke aufgeht. Dazu atonale Musik, modernistische Töne.
Von der Reise ins vermeintliche Licht
„Der Brutalist“ handelt von den Vereinigten Staaten, suggeriert aber zugleich von Anfang an den Zusammenbruch des Mythos „Amerika“. Dem Prolog zufolge ist es eine Reise von der Dunkelheit ins Licht. Doch dieses Licht ist keine Erlösung. Während des gesamten Films wechseln Licht und Dunkelheit, und am Ende des Tunnels wartet bestenfalls Ruhe, aber kein Frieden.
Der Mann, der hier ankommt, ist jener Laszlo des Briefs, Laszlo Toth (Adrien Brody), ein Architekt, der dem Holocaust entronnen ist und mit nichts in der Tasche 1947 nach Pennsylvania kommt. Dort versucht er, einen Platz in der US-amerikanischen Gesellschaft zu erringen.
In wenigen, schnelle Szenen skizziert Regisseur Brady Corbet in den ersten Minuten das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Einwanderer. Er zeigt Staten Island, provisorische Unterkünfte, streift Prostitution, Ausbeutung und Rassismus. Dann steigt Laszlo in einen der Greyhound-Busse, die die Einwanderer im Land verteilen, und der nächste Abschnitt beginnt.
Der Film ist in eine Ouvertüre, zwei Hauptteile, welche von einer 15-minütigen Pause unterbrochen werden, und einen Epilog gegliedert. Das erinnert an die Unterteilung einer Oper, ähnlich wie der Umgang mit der Zeit, die der Film sich nimmt oder sein epischer Grundton. Auch die mal atonale, mal immersive symphonisch wirkende Musik, die immer ein bisschen zu laut und zu betont eingespielt wird, lässt zusammen mit dem nie verborgenen Kunstwillen Brady Corbet als einen Wagnerianer des Kinos erscheinen. Film ist für ihn wie bei Sergej Eisenstein und Orson Welles ein Gesamtkunstwerk aus höchstem Anspruch, dominiert von musikalischem Denken – Kino als Fortsetzung von Musik mit anderen Mitteln.
Das Rätsel der Ankunft
Der erste Hauptteil, über dessen Beginn die auffallend schönen, in konstruktivistischer Schrift gestalteten Zeilen der Titelsequenz über das Bild wandern, heißt „The Enigma of Arrival 1947–1952“. Doch dieses Rätsel der Ankunft wird nicht weiter vertieft. Dafür lernt man die Hauptfigur kennen. Laszlo war ein erfolgreicher Bauhaus-Schüler. Durch nur zu erahnende Erlebnisse traumatisiert, fängt er in den USA in bitterster Armut an. Er muss Kohle schaufeln und auf dem Bau arbeiten. Durch einen Zufall entdeckt ihn der Unternehmer Harrison Van Buren (Guy Pearce) als begabten Architekten und fördert ihn mit verschiedenen Aufträgen.
Ist es nur ein Zufall, dass Van Buren den Namen eines US-Präsidenten trägt? Und dass Laszlo Toth eigentlich der Name eines geistesgestörten Mannes ist, der 1972 mit Hammerschlägen die Pièta von Michelangelo schwer beschädigte? Nachdem Laszlo sich in den Augen seines Förderers bewährt hat, gibt ihm Van Buren den Auftrag seines Lebens, der schnell zu einer Obsession wird. Auf einem Hügel nahe von Van Burens Landsitz soll er ein großes Gemeindezentrum bauen, das auch eine Kapelle enthalten und den Namen von Van Burens Mutter tragen soll – eine Art Mausoleum. Gebaut werden soll es im modernistischen Stil des Brutalismus – so erklärt sich der Titel des Films.
Brutalismus ist die Architektur des Puren und Rohen, mit sehr harten, hohen Betonwänden und voller Kontraste. Da es weder Tapeten noch Holzverkleidung oder gar Plastik und Metall gibt, liegt das Mauerwerk frei da. Das Mammutwerk, an dem Laszlo irgendwo in Philadelphia fast ein Jahrzehnt lang baut, erinnert nicht von ungefähr an das Opernhaus in „Fitzcarraldo“ von Werner Herzog: im Größenwahn des Projekts, in seiner Unmöglichkeit einer Vollendung, aber auch in der Hybris des Erbauers.
Auf der Lohnliste des Kapitalisten
Unschwer lässt sich in diesem Bau und dem, was mit ihm geschieht, auch eine Metapher für die Moderne sehen, jenem „unvollendeten Werk“, wie es der Philosoph Jürgen Habermas beschrieben hat. Im Aufeinandertreffen der denkbar unterschiedlichen Temperamente von Laszlo und Van Buren lassen sich die Repräsentanten dieser Moderne, aber auch deren Dialektik erkennen. Laszlo ist ein Idealist, der zwar durchaus pragmatisch sein kann, doch keine Kompromisse duldet. Er möchte den Traum jedes Architekten erfüllen, einmal alles so bauen zu können, wie er will. Van Buren wiederum ist großzügig, neugierig und offen genug, um den Einwanderer aufzunehmen und ihm viele Möglichkeiten zu eröffnen, diesen Traum zu erfüllen. Aber er kauft sich in Laszlo auch ein menschliches Spielzeug, das auf seiner Lohnliste steht, und in dessen Wünsche er sich nachhaltig einschreibt. Van Buren will Anerkennung als Kapitalist und Mäzen, Laszlo aber als Künstler und Könner. Beide sind zwei Willensmenschen, die den Willen ihres Gegenüber letztlich bezwingen wollen.
Adrien Brody und Guy Pearce haben in diesen Rollen herausragende Auftritte. Während Guy Pearce seine Figur an die größten Kapitalistenfiguren Hollywoods, an den Titelhelden in „Citizen Kane“ und an verschiedene Darstellungen von Howard Hughes anlehnt, und eine Person zeigt, die brutale Härte mit echter Freundlichkeit verbindet und eine dritte Seite sorgfältig zu verstecken trachtet, trägt Adrien Brody seine Figur aus „Der Pianist“ in diese Rolle hinein: ein an Körper und Seele Versehrter, in dessen Gesicht sich Lachen und Weinen zu paaren scheinen.
Nachdem der erste Teil vom Aufstieg Laszlo Toths gehandelt hat, erzählt der zweite Teil, „The Hard Core of Beauty 1953-1960“, von einer Art Abstieg. Zu Beginn kommen Erzsebet und Zsofia, seine Ehefrau und seine Nichte, die in Ungarn zurückgeblieben sind, in die USA nach. Erzsebet ist schwerbehindert und durch Osteoporose an den Rollstuhl gefesselt. Zuvor war von ihnen schon immer die Rede gewesen, doch nun treten sie und mit ihnen die Schatten der europäischen Vergangenheit ins Licht des Films. Bis dahin existierten die Frau und die Nichte nur in der Erinnerung des Architekten und in den Gesprächen. Mit ihnen wird sichtbar, dass Europa in diesem Film als das Verborgene und Unbewusste Amerikas existiert, als das, was es nicht wahrhaben will.
Alles gerät ins Stocken
Das Auftauchen von Erzsebet und Zsofia bringt die Handlung nicht wirklich voran, sondern behindert sie. Zsofia hat für eine Weile die Fähigkeit zu sprechen verloren, ohne dass die Ursache klar würde. Ebenso deutet der Film ihre Erlebnisse im Haus der Van Burens nur an. Laszlos Familie beginnt zunehmend über die gebrochene Utopie aus Fortschritt und Frieden nachzudenken, die im amerikanischen Traum ebenso verkörpert sind wie im Staat Israel, wohin Zsofia schließlich auswandert.
Die Bauarbeiten geraten ins Stocken. Zum Höhepunkt des zweiten Teils wird ein Zugunglück, aber auch die Weise, wie Brady Corbet dieses lange vorher schon andeutet. Das eigentlich Unfassbare in diesem Moment ist aber, dass der Film hier auch die Züge mitdenkt, die zehn Jahre zuvor von überall her nach Auschwitz fuhren, wo die meisten ungarischen Juden vergast wurden, oder nach Buchenwald, wo Laszlo irgendwie überlebte. Die Montage zwischen der Fahrt des Zuges, dem Verschwinden hinter den Wolken, dem Aufblitzen einer Explosion und der Verknüpfung dieser Aufnahmen mit dem Schmerzensschrei von Erzsebet ist einer der Momente, in denen Corbet vollkommen neue Filmmomente kreiert und die deutlich machen, dass „Der Brutalist“ auch ein Film über die Shoa ist.
Erst im letzten Viertel des Films laufen alle Erzählfäden zusammen, und manches wird nun besser verständlich. Eine Reise zu den Marmorklippen von Carrara in Italien und ein sinnliches Abendfest bei den Marmorhändlern, die früher antifaschistische Partisanen waren, leitet den unerhörtesten Moment des Films ein: Ein Tanz und ein Flirt von Laszlo mit einer Tänzerin, den Van Buren von oben beobachtet. Er sieht und spürt, dass er kein Teil von alldem ist, dass er hier in Europa Außenseiter bleibt und sich nicht mit diesen einfachen Menschen verbinden kann. Etwas später bricht sein Ressentiment offen aus und er vergewaltigt Laszlo – und bringt damit die Sexualität als untergründiges Thema von „Der Brutalist“ zum Vorschein.
Die Gegenwart der Vergangenheit
Danach geht alles sehr schnell. Laszlo und Erzebet gestehen sich die bittere Wahrheit ein: „Amerika ist verkommen. Die Landschaft, das Essen, die Menschen. Sie wollen uns hier nicht.“ Wobei „uns“ die Juden meint. So brechen sie mit Van Buren, indem sie ihn sozial bloßstellen, und folgen Zsofia nach Israel nach. Ein Epilog führt schließlich auf die Architektur-Biennale von Venedig 1980 und kontextualisiert den Stil von Laszlo unter der Überschrift „The presence of the past“.
Diese Gegenwart der Vergangenheit ist der rote Faden, der „Der Brutalist“ in seinem Ideen- und Facettenreichtum zusammenhält. Der Film rückt einen jüdischen Protagonisten und seine Traumatisierung ins Zentrum. Er zeigt eine Figur, die nicht mehr heimisch werden kann, weil die Vergangenheit nicht vergehen will, sondern anwesend bleibt oder als verdrängte zurückkehrt. Eine Vergangenheit, die auch in der Moderne anwesend ist, für die Laszlo als Repräsentant steht.
Trotz seiner „modernistischen“ Momente ist der Stil des Films bewusst „klassisch“ gehalten. Gedreht wurde auf VistaVision, dem Paramount-Format der 1950er-Jahre, und auf analogem Filmmaterial, zur Premiere beim Filmfestival in Venedig auf 70 Millimeter uraufgeführt. Auch die Vorbilder sind US-amerikanische Klassiker. Neben offenkundigen Referenzen wie „Citizen Kane“, „Ein Mann wie Sprengstoff“ und „There Will Be Blood“ kann man auch an die Einwanderergeschichten von Elia Kazan, „Bugsy“ von Barry Levinson und Sergio Leones „Es war einmal in Amerika“ denken.
Und dennoch ist „Der Brutalist“ am Ende ein Film, der in der albtraumhaften Dunkelheit Europas wurzelt. Corbets Ehrgeiz, ein kultiviertes, geduldiges und scharfsinniges Epos in einer von Ignoranz und Aufmerksamkeitsdefiziten geprägten Zeit ins Kino zu bringen, ist unverkennbar. Corbet gelingt ein mitreißender Film, der eine Fülle von Themen anspricht und dabei nur oberflächlich betrachtet einen Bogen um die Gegenwart schlägt. Seine konzentrierte Geschichte erzählt von den USA und Europa, von Tatkraft und Intellekt, Hoffnung und Scheitern. Und vom Antisemitismus in den USA.
Der Brutalist – FBW
Mit DER BRUTALIST gelingt dem Regisseur Brady Corbet ein epochales filmisches Meisterwerk, das seine Themen tiefgründig, komplex und mit entfesselter Wucht verhandelt.
Als sich für László die Türen auf Ellis‘ Island öffnen und den Blick auf die Freiheitsstatue freigeben, beginnt für den Mann, der vor dem Zweiten Weltkrieg ein gefeierter Architekt in Budapest war, ein neues Leben. Ein Leben nach dem KZ Buchenwald, ein Leben, das er zunächst ohne seine geliebte Frau Erszébet führen muss, die den Holocaust ebenfalls überlebt hat und nun versucht, zu László nach Amerika zu kommen. Als der reiche Industrielle Harrison Van Buren Laszlo den Vorschlag unterbreitet, ein Gemeindezentrum in Pennsylvania zu bauen, fühlt sich László geehrt und herausgefordert. Doch das Projekt, das für den visionären Architekten Erfüllung bedeuten sollte, erweist sich schnell als neuer Prüfstein in László Leben. Durch den er alles verlieren könnte, was ihm etwas bedeutet.
Mit DER BRUTALIST verhandeln Regisseur Brady Corbet und seine Co-Autorin Mona Fastvold große Themen in einem monumentalen Setting. Die Zuschauenden begleiten den Protagonisten László (phänomenal und mit körperlicher Hingabe gespielt von Adrien Brody) auf seiner Reise in eine neue hoffnungsvolle Zukunft, die jedoch schon bald von den Erlebnissen in der Vergangenheit beschwert wird. Wie ein Besessener, ein Getriebener wirkt László , der sich immer mehr auch von seiner Frau (gekonnt chargierend zwischen Verletzlichkeit und antrainierter Härte: Felicity Jones) zurückzieht und sich in den Wahn seines Bauwerks hineinsteigert. Dabei wird sich László bewusst, dass er in seiner neuen „Heimat“ nie wirklich zuhause sein wird. Und dass die Menschen, mit denen er zu tun hat, ihn immer ihre Macht und Kontrolle über ihn spüren lassen werden. Die eindrucksvolle Kamera von Lol Crawley fängt die düsteren Szenerien und die Kälte und Größe des monumentalen Bauwerks, das gleichzeitig ein Gefühl von klaustrophobischer Enge erzeugt, gekonnt ein, kongenial untermalt von einem intensiven Score von Daniel Blumberg und der farbentsättigten, lichtarmen Bildgestaltung. Wie ein Spiegel für die nach außen getragene Gefühlskälte der Protagonisten wirkt der Beton, der zu gigantischen Höhen emporgehoben wird. Dabei schlummert in jeder einzelnen Figur ein innerer Kampf, der dafür sorgt, dass der Film trotz seiner Laufzeit von 215 Minuten eine konstante Spannung hält. Das persönliche und berührende Drama von László und Erszébet steht dabei pars pro toto für so viele Schicksale von Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg alles verloren hatten – und in einem Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten ein neues Leben beginnen wollten. Doch empfangen wurden sie nicht immer mit offenen Armen, sondern auch von Ressentiments und einer gönnerhaften Überheblichkeit, hier verkörpert von der Unternehmerfamilie Van Buren. All diese Aspekte machen aus DER BRUTALIST nicht nur ein epochales, visuell packendes Drama, sondern auch eine kluge filmische Reflexion über ein Stück amerikanischer Geschichte.
Kann man heutzutage einen Monumentalfilm für knapp 10 Millionen Dollars machen? Brady Corbet ist dieses Kunststück mit DER BRUTALIST gelungen, denn sein Film hat die epische Breite, die Optik, die emotionale Tiefe und ja, auch die Länge von großen Kinoerzählungen. In ihm werden Themen wie Kunst gegen Kapitalismus, Immigration und Antisemitismus, Geschlechterkampf und Architekturgeschichte verhandelt und all das wird so meisterhaft in die Erzählung des Films eingearbeitet, dass er nie überladen oder prätentiös wirkt.
Sein Held, der ungarisch-jüdische Architekt László Toth, kommt, nachdem er den Holocaust in Europa überlebt hat, in die USA, und für ihn gibt es dort schnell ein abruptes Erwachen aus dem amerikanischen Traum, denn sein großes künstlerisches Talent wird weder gebraucht noch geschätzt. Das ändert sich zwar, nachdem ein erfolgreicher Industrieller in Pennsylvania ihn entdeckt und ihm den Auftrag gibt, einen großen, repräsentativen und modernen Gebäudekomplex zu entwerfen und zu bauen. Aber László Toth begibt sich durch die Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber in Abhängigkeiten, die ihn in eine existentielle Krise stürzen. Corbet gelingt es, spannend und faszinierend von Architektur zu erzählen, und er tut dies mit oft erstaunlich minimalistischen, dafür aber umso wirkungsvolleren Mitteln.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Musik von Daniel Blumberg, dem es virtuos gelingt, Räume zu dramatisieren und die Kamera von Lol Crawley, die durch das Format Vista Vision diese Räume groß und tief wirken lässt. Adrien Brody gelingt es in der Rolle von László Toth, die Verletzungen, aber auch die Sturheit und das Selbstbewusstsein eines großen Künstlers zu vermitteln und Guy Pearce ist ihm als sein snobistischer, egomanischer und brutaler Antagonist mit dem passenden Namen Harrison Lee van Buren ebenbürtig. Doch in den wenigen Szenen, in denen sie glänzen kann, droht Felicity Jones in der Rolle von Toths Ehefrau Erzsébet die beiden an die Wand zu spielen. Besonders in einer Dinner-Szene ist sie offensichtlich die klügste Person und stärkste Persönlichkeit im Raum.
In DER BRUTALIST erzählt Corbet von einem Menschen, der die Zukunft entwirft und baut, aber zugleich den Verletzungen in seiner Vergangenheit nicht entkommen kann. Dass das Sinnbild dessen ein brutalistischer Betonbau ist, zeigt, wie raffiniert und einfallsreich Corbet die Welt seines Films gebaut hat.
Der Brutalist (Cinema)
Der minimalistische Monumentalfilm mit einem fulminanten Adrien Brody („Der Pianist“) gilt als Oscar-Favorit.
Als László Tóth (Adrien Brody) aus dem Laderaum eines Einwandererschiffs an Deck taumelt, steht New Yorks Freiheitsstatue auf dem Kopf. Auch sein Leben ist aus den Fugen geraten. Der jüdische Architekt hat das KZ Buchenwald überlebt, in Amerika hofft er auf einen Neuanfang. Erst Jahre später wird László seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) und seine Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) wiedersehen. Auf Um-wegen gewinnt er die Gunst des reichen Industriellen Lee Van Buren (Guy Pearce), der ihn mit dem Bau eines Gemeindezentrums beauftragt. Als die Kosten für Lászlós Entwurf im Stil des Brutalismus – schmucklose Betonbauten in geometrischer Form – aus dem Ruder laufen, eskaliert der Konflikt zwischen dem kompromisslosen Architekten und seinem cholerischen Mäzen.
Der neue Film von Brady Corbet („Vox Lux“) erweckt den Anschein, als würde er auf realen Ereignissen oder einer Romanvorlage basieren, doch die Geschichte ist pure Fiktion. In teils hypnotischen Bildern entwirft er das Bild einer amerikanischen Gesellschaft, in der selbst die Überlebenden des Holocaust nur geduldet werden. Dreieinhalb Stunden dauert der Film (mit einer 15-minütigen Pause). Doch trotz dieser enormen Laufzeit wirkt die Erzählweise fast fragmentarisch. So ist „Der Brutalist“ minimalistisch und monumental zugleich. Ein Film voller Leidenschaft, der in seiner Kühnheit vertraute Sehgewohnheiten sprengt.
Dieser Film ist ein Monument (Hanno Rauterberg, Die Zeit)
Für zehn Oscars nominiert: „The Brutalist“, die Geschichte eines Wunderbaus, dauert dreieinhalb fantastische Stunden.
Egal, wie oft man ins Kino geht, immer gibt es da diesen einen, im Grunde religiösen Moment der Epiphanie: Alle warten darauf, dass die Lichter verlöschen, dass es dunkel, nein, richtig finster wird, denn erst in der Finsternis verwandelt sich das Kino zur Höhle. Und in die Höhle hinein leuchtet das Ungreifbare, offenbart sich eine Wahrheit, die uns, wenn es gut läuft, berühren wird, verwandeln, erheben. Schließlich sind wir deshalb eigens gekommen, hier in unsere Kinohöhle. Um uns forttragen zu lassen.
Selten aber, sehr selten gibt es einen Film wie The Brutalist, der den Höhleneffekt machtvoll verdoppeln möchte, mit opulenten Bildern, rauschhaften Klängen, vor allem aber indem er einen tiefen Sog entwickelt, uns hineinzieht ins Dunkle. In einen nachtschwarzen Schiffsbauch zum Beispiel, in die Einsamkeit einer Abstellkammer, in enge Korridore, in die feuchten Stollen eines Bergbaus. Und natürlich ist auch der Architekt, von dem dieser Film erzählt, ein Höhlenspezialist. Trutzige Bauten lässt er entstehen, fensterlos und aus Beton, nur durch Schlitze dringt das Sonnenlicht herein. Eine Architektur, die uns berühren, verwandeln, erheben will. Entführen in ein anderes Leben.
Und so hält es auch Brady Corbet, der Regisseur, sein neuer Film ist eine tiefe, manchmal heideggerhafte Meditation über Sein und Zeit und die Frage nach dem, was dem modernen Menschen noch Halt gibt und Zuversicht. Drei Golden Globes hat er dafür schon bekommen, zehn Oscars könnte er gewinnen. Für Corbet, gerade mal 36, eine Epiphanie der eigenen Art.
Mit einem wilden, kaum entzifferbaren Durcheinander von Stimmen, Schatten, Räumen hebt der Film an, da ist Gewalt, Angst, da ist der Holocaust. Da ist László Tóth, der von Adrien Brody gespielte Architekt, ein Jude aus Ungarn, am Bauhaus in Dessau ausgebildet, von den Nazis nach Buchenwald verschleppt. Nun aber sucht er in der neuen Welt ein neues Glück, und wie er 1947 nach New York gelangt, der Dampfer läuft gerade ein, da stürzt er an Deck, erblickt Lady Liberty, die Freiheitsstatue, nur dass sie, so kommt es Tóth vor, kopfüber vom Himmel hängt. Verdrehte Welt, verwackelte Freiheit. Und wo war noch mal das Fundament?
The Brutalist erzählt von den Folgen der Judenvernichtung, doch tut er es auf ungewohnte, oft tastende Weise. Nie wird ganz klar, welche Angstbilder den Architekten Tóth verfolgen. Nur in der Verwegenheit seiner Bauten scheint etwas davon auf, in ihrem Drang zur Selbstbehauptung. Tóth mag gerupft aussehen und mitgenommen, seinen Stolz wird ihm keiner nehmen. Noch in Augenblicken größter Demütigung wird er sich seine aufreizende Lässigkeit bewahren, rauchend, immerzu rauchend. Und Adrien Brody gelingt es auf bewundernswerte Weise, den Eigenwillen dieses Architekten, seine Unbedingtheit auch dann noch durchscheinen zu lassen, wenn er sich restlos verloren glaubt. Es treibt ihn, unablässig, ein Glaube an die Kunst.
Auch sein Gegenüber, der ultrareiche Harry Van Buren, ein Liebhaber bibliophiler Erstausgaben und Sammler alter Weine, scheint von diesem Kunstglauben infiziert. Als ihm László Tóth über den Weg läuft, hat er bald begriffen, wie belebend es sein kann, so ein Genie an sich zu binden, einen Helden des alten Europa. „Intellektuell stimulierend“ sei das, sagt Van Buren, von Guy Pearce mit unbarmherziger Freundlichkeit gespielt.
Ein Denkmal, ein Monument wünscht sich Van Buren, für seine gerade gestorbene Mutter. Aber nicht nur das: Auf seinem Anwesen, hoch auf einem mächtigen Hügel, soll neben der Kirche auch eine Art Tempelstadt entstehen, ein Ort des Zusammenhalts für das nahe gelegene Städtchen. Dann präsentiert Tóth sein Modell, sichtlich nervös erläutert er den Entwurf, eine Ansammlung wuchtiger Kuben, führt vor, wie das Licht durch die Schächte so hereinfällt, dass es auf dem Altar ein Kreuz zeichnen wird (wie ein Filmprojektor). Nur hat Van Buren währenddessen nichts Besseres zu tun, als sich rasieren zu lassen.
Immer wieder wird Tóth es mit der Ignoranz der Pseudoliberalen zu tun bekommen, mit der Dummheit des Geldes und auch, überdeutlich, mit antisemitischem Ressentiment. Die Freiheit, auf die er hoffte, auf die er bauen wollte, erweist sich rasch als Schein. Alle lieben sein Genie und dulden es doch nur, solange alles schön im Rahmen bleibt.
Ein Idealist der Unverfügbarkeit
Wie immer, wenn ein Film grundsätzlich von Kunst und Macht erzählt, erzählt er auch etwas über sich selbst, über die eigenen Zwänge, Träume und die Frage, was mit Idealismus im Kino noch zu gewinnen ist. Was bleibt von der Avantgarde, ihrer Freude am Unbedingten, wenn alle nur auf den Erfolg stieren, auf Besucherzahlen und Einspielergebnisse? Auch davon handelt The Brutalist: von dem Versuch, den üblichen Regeln der Filmindustrie zu entkommen. Mit einer Überlänge von fast dreieinhalb Stunden. Mit einem Budget von gerade mal zehn Millionen Dollar. Mit einer Ästhetik, die auf eine sehr eigene Farbstimmung setzt und die üblichen Oberflächeneffekte vermeidet, ermöglicht durch die analoge Technik der Vistavision. Corbets Film ist Anti-Hollywood. Und wird von Hollywood und der globalen Filmgemeinde dafür gefeiert.
Anders hingegen ergeht es dem Architekten Tóth: Verbissen hält er an seinen Plänen fest, an einer Architektur, die zwischen Höhle und Himmel vermitteln und beides zugleich sein möchte: radikal eigensinnig und von allen geliebt. Je größer aber die Widerstände werden, desto ähnlicher wird er seinem Bauherrn – eine unheimliche Wandlung, mit großer Loyalität beäugt von seiner ebenfalls in die neue Welt gereisten Frau (Felicity Jones). Geist und Macht, die ewigen Kontrahenten, rücken einander bedrohlich nah. Tóth schreit die Arbeiter zusammen, will sie entlassen. Und erweist sich als Getriebener seiner Ideen.
Zusammen mit Van Buren reist er schließlich nach Italien, in die berühmten Marmorbrüche von Carrara. Man sieht die beiden, wie sie durch das überweltliche Panorama streifen, eine zerhauene Landschaft, zerstört aus Gründen der Schönheit; schon Bildhauer der Renaissance hatten den Steinbruch für sich entdeckt. Hier, in den Höhlen, suchen die zwei nach dem Höheren, so muss man es verstehen: nach einem Steinblock für den Altar ihrer Kirche, den Tisch des Herrn. Und der Film, bis dahin eher gradlinig erzählt, bewegt sich mit einem Mal in mystische Tiefen.
Eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen spricht aus den Bildern, nach Geheimnis und Überwältigung. Nach einer Moderne jenseits der Moderne. Und eben darum kreiste tatsächlich auch der Brutalismus, ein Baustil der Nachkriegszeit, dem der Film seinen Namen verdankt. Damals waren Architekten wie Alison und Peter Smithson angetreten, den nackten Funktionalismus zu überwinden und die metaphysischen Kräfte der Architektur neu auszuloten. Mitten hinein in den eilig fließenden Strom des Fortschritts wollte man Bauten stellen, die vom Bleiben erzählen, widerständig und frei vom üblichen Nützlichkeitsdenken. Auch die fiktive Figur des László Tóth gehört zu diesen Schwärmern, ein Idealist der Unverfügbarkeit.
Über weite Strecken folgt Corbets Film diesem Verlangen nach einer Gegenwelt. Doch das Eigentlichkeitsdenken, das sich damit verbindet, die Vorstellung, eine geniegetriebene Ästhetik könne uns von aller Entfremdung erlösen und würde die wahren Quellen des Seins neu erschließen, dieser Idee einer Ursprünglichkeit will er am Ende nicht folgen. Die Höhle ist bei Corbet nicht nur Ort der Imagination, sie ist auch, so viel sei verraten, ein Ort der Enthemmung und Unterwerfung.
Vielleicht deshalb findet sein Film kein rechtes Ende. Corbet mag nicht lassen vom utopischen Streben und weiß doch, wie zerstörerisch der eifernde Idealismus des 20. Jahrhunderts mitunter war. Und welch unheimliche Macht ein heroischer Stolz entwickeln kann. Denn die Grundidee des Films – make architecture great again, macht die Architektur autonom, widerständig und tollkühn –, diese Idee hört sich heute kaum mehr wie Avantgarde an, viel eher wie Egozentrik und Regression.
Einst sollte die Rückbindung an die Geschichte, an die untergründigen, unkalkulierbaren Energien der Kunst, die Gesellschaft befreien. Corbet erinnert daran, ohne aber selbst einen neuen Heroismus auszurufen. Und das ist es vor allem, was seinen Brutalist ausmacht.