Die leisen und die großen Töne
F 24, R: Emmanuel Courcol, FSK: 6, 103 min
Thibaut (Benjamin Lavernhe) ist ein weltberühmter Dirigent, der die Konzertsäle rund um den Globus bereist. Mitten in seinem erfolgreichen Leben erfährt er nach einer Leukämieerkrankung, dass er adoptiert wurde und einen jüngeren Bruder hat. Jimmy (Pierre Lottin) arbeitet in einer Schulküche und spielt Posaune in der Blaskapelle einer Arbeiterstadt. Obwohl beide Brüder auf den ersten Blick grundverschieden erscheinen, verbindet sie eine tiefe Liebe zur Musik. Thibaut erkennt das außergewöhnliche Talent seines Bruders und möchte die Ungerechtigkeiten ihrer Schicksale ausgleichen. Er entscheidet sich, Jimmy die Chance zu geben, die dieser nie hatte: Seinem Herzen und seinem Talent zu folgen und mit dem kleinen Orchester einen nationalen Wettbewerb zu gewinnen. Jimmy beginnt, von einem ganz anderen Leben zu träumen…
Der Film läuft auch am Mi 29.01. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.
Pressestimmen
Wunderbar humanistisch und tragikomisch: „Die leisen und die großen Töne“
Von Margret Köhler | Abendzeitung München, 23. Dezember 2024
Ungleichheit und Brüderlichkeit: Die französische Tragikomödie berührt im Kleinen als auch im Großen, im Privaten wie im Politischen
Dirigenten und Dirigentinnen sind derzeit häufig in Filmen im Fokus. Aber was der Franzose Emmanuel Courcol auf die Leinwand bringt, toppt die bisherigen filmischen Ausflüge in die Musikwelt.
Zwei Männer: Der eine ist ein internationaler Star-Dirigent, der andere Kantinenkoch und Hobby-Posaunist in der Dorfkapelle und kämpft mit Arbeitern um den Fortbestand der Fabrik am Ort. Zwischen ihnen liegen Welten.
Der Schreck: die Geschwister sind nicht verwandt
Als der erfolgreiche Thibaut (Benjamin Lavernhe, bekannt aus „Birnenkuchen und Lavendel“) bei einer Probe zusammenbricht, erfährt er die deprimierende Diagnose: Leukämie. Seine Schwester erklärt sich zur Knochenmarkspende bereit. Dann das Entsetzen: Sie sind nicht verwandt. Er wurde adoptiert.
Die Nachricht einer schweren Krankheit und die Tatsache, dass sein Leben auf einer Unwahrheit aufgebaut ist, wie er meint, zieht Thibaut komplett den Boden unter den Füßen weg. Aber es soll noch einen Bruder geben im Norden Frankreichs, der bei einer Pflegemutter aufwuchs: Jimmy (Pierre Lottin), seine einzige Überlebenshoffnung für die Knochenmarkspende. Jimmy ist nicht angetan von dem Fremden, der in sein Leben platzt. Nach dem ersten Misstrauen verbindet sie aber die Musik, egal ob klassisch oder populär.
Kafka hat recht: Man muss weinen
„Im Kino gewesen. Geweint“: Franz Kafkas Tagebucheintragung trifft hier zu. Regisseur Courcol erzählt nach dem kulturellen, emotionalen und sozialen Schock von der vorsichtigen Annäherung zweier Menschen aus verschiedenen Schichten: der elitären Pariser Bourgeoisie und dem Arbeitermilieu in der Provinz.
Die Regie beweist ein feines Gespür für die Figuren, weiß, wie man die Charaktere – trotz verschiedener Lebensentwürfe und Lebenswirklichkeiten – in ihrer Stärke, Verletzbarkeit und Menschlichkeit zusammenbringen kann. Denn hier setzt der Film auf allgemein menschliche Eigenschaften. Aber nicht nur die beiden sich perfekt ergänzenden Hauptdarsteller, sondern auch die Laiendarsteller aus verschiedenen Blaskapellen ergeben hier ein wunderbar menschliches Panoptikum.
Ein tief humanistischer Film
Der im Film perfektionistische Feingeist Lavernhe steht derzeit mit der Comédie Française-Truppe in der Hommage an Serge Gainsbourg auf der Bühne, Lottin wiederum ist demnächst in François Ozons „Wenn der Herbst kommt“ zu sehen, als instinktiver und animalischer Typ und stolzer Underdog. Manchmal erinnert „Die leisen und die großen Töne“ als Mischung aus Sozialkomödie und Drama an Ken Loach und seine sozialkritischen, immer tief humanistischen Filme.
Trotz großer Gefühle gibt es keinen Kitsch, nicht eine Sekunde driftet das einfühlsame Werk in sentimentales Wohlgefühl oder ein unglaubwürdiges Happy End. Die Tragikomödie ist vielmehr ein sanfter Stich ins Herz, der weltweit schon Publikumspreise sammelt und in Frankreich bereits über eine Millionen Zuschauer hatte.
Dieses perfekte Kinoerlebnis mit immer neuen Wendungen verliert sich nicht in überflüssigen Worten. Man spürt vielmehr an Gesten, Körperhaltungen und Mimik, was zum Beispiel in Thibaut vorgeht, wenn er aus Solidarität für den Fabrikarbeiterstreik bei der nicht immer sauber spielenden Amateurgruppe den Taktstock schwingt.
Und immer wieder taucht sie auf die Frage: Wie wäre beider Schicksal verlaufen, wenn Thibaut sich nicht in einer großbürgerlichen, ihn immer fördernden Adoptivfamilie hätte entfalten können, sondern wie Jimmy in einfachen Verhältnissen gelandet wäre, wenn Jimmy die gleichen Chancen bekommen hätte? Wie kann man zufällige Ungerechtigkeiten ausgleichen?
Der zärtliche Blick auf Zufall und Zerbrechlichkeit des Glücks tut gut – und weh. Es ist der schönste Abschluss für das Kinojahr: leise und ganz groß. Man verdrückt vielleicht eine Träne und ist am Ende doch glücklich. Welcher Film schafft das schon?