Kino / Nachlese

Doc-Zone: Holy Shit

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Im Anschluss laden wir zum Filmgespräch mit dem Experten Mane Gröner aus Mittelherwigsdorf.

Eigentlich redet man nicht darüber – über das „große Geschäft“, das wir alle tagtäglich verrichten. Und wenn wir doch darüber sprechen sollen, tun wir uns schwer, das richtige Wort zu finden. Ganz anders der Regisseur Rubén Abruña. Er hat einen ganzen Dokumentarfilm über den „Holy Shit“ gedreht:

Was geschieht mit der Nahrung, die wir verdauen, nachdem sie unseren Körper verlassen hat? Ist es Abfall, der weggeworfen wird, oder eine Ressource, die wiederverwendet werden kann?

Auf der Suche nach Antworten begibt sich der Regisseur Rubén Abruña auf eine investigative und unterhaltsame Suche durch 16 Städte auf vier Kontinenten. Er folgt der Fäkalienspur von den langen Pariser Abwasserkanälen bis zu einer riesigen Kläranlage in Chicago. Die vermeintliche, weltweit angewandte Lösung, die halbfesten Überreste der Kläranlage als Dünger zu verwenden, erweist sich als lebender Albtraum, denn sie enthalten Schwermetalle und giftige PFAS-Chemikalien. Können Ausscheidungen für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden und die drohende Düngerknappheit lindern? Er trifft die Poop Pirates aus Uganda, die mit ihrer Arbeit und ihren Liedern den Menschen beibringen, wie sie Fäkalien in sicheren Dünger verwandeln können. Im ländlichen Schweden zeigt ihm ein Ingenieur eine Trockentoilette, die aus Urin Dünger herstellt. In Hamburg und Genf entdeckt er Wohnkomplexe mit dezentralen Kläranlagen, die nicht an die Kanalisation angeschlossen sind und aus menschlichen Exkrementen Strom und Dünger erzeugen. Am Ende findet der Regisseur Antworten auf Wiederverwendung menschlicher Fäkalien die erhöhen weltweit Ernährungssicherheit, Umweltschutz, Hygiene und Abschwächung des Klimawandels.

Der beherzte, sehr unterhaltsame Dokumentarfilm begibt sich auf eine Recherche über den Umgang mit menschlichen Exkrementen, da die bisherigen Entsorgungskonzepte in der westlichen Welt vor einem Kollaps stehen. Auf einer Tour durch 16 Städte und vier Kontinente erkundet der Film mit durchdachter Visualisierung und einem eleganten Off-Kommentar bereits praktizierte Alternativen zu herkömmlichen Klärwerken. Das für viele tabubehaftete Thema wird dabei so aufbereitet, dass es auch für empfindsamere Gemüter gut zugänglich ist.


Rezension zum Film: Aus Scheiße Gold machen

Ein Hollywoodstar auf Klo-Mission: Warum sich die Schauspielerin Patricia Arquette für den Dokumentarfilm „Holy Shit“ einsetzt (von Carolin Ströbele, DIE ZEIT)

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Schauspielerinnen von einem Film gerührt sind, in dem sie mitwirken. Ungewöhnlich ist, dass sich die Oscarpreisträgerin Patricia Arquette (True Romance, Lost Highway, Boyhood), gleich mehrfach über die Augen wischt, nachdem sie an einem Montag Ende Oktober in Berlin einen Film gesehen hat, in dem es, nun ja, ums Scheißen geht. In Holy Shit fährt der Regisseur Rubén Abruña in einem Auto mit Kack-Emoji auf dem Dach durch die Welt, um sich über Trockentoiletten, Kompostieranlagen und Abwassersysteme zu informieren. Und letztlich darüber, wie man die Fäkalienentsorgung weltweit hygienisch und umweltfreundlich zugleich gestalten kann.

Es geht hier aber nicht um ein ökologisches Nischenthema, sondern um ein Menschheitsproblem. Mehr als 3,5 Milliarden Menschen fehlt es an hygienischen Toiletten, mehr als eine halbe Milliarde müssen ihr Geschäft im Freien verrichten. Nach Angaben von Unicef sterben täglich etwa 1.000 Kinder an den Folgen von verseuchtem Wasser und schlechten hygienischen Verhältnissen. Das erklärt, warum Holy Shit im Programm des Human Rights Film Festival in Berlin läuft, womöglich erklärt es auch Arquettes emotionale Reaktion auf der Bühne.

Seit Jahren engagiert sich die Schauspielerin für den Bau in Trockentoiletten, zwei der Projekte ihrer Hilfsorganisation Give Love werden in Abruñas Dokumentarfilm vorgestellt. Unter dem Slogan „poop to gold“ (frei übersetzt: Scheiße zu Gold machen) sammelt etwa eine Gruppe von Freiwilligen die Hinterlassenschaften aus Trockentoiletten in einem Slum der ugandischen Hauptstadt Kamala ein; diese werden anschließend in biologischen Dünger umgewandelt, mit dem dann Felder gedüngt werden. Der Lehrer und Unternehmer Patrick Mavo erhofft sich von diesem Projekt nicht weniger als eine wirtschaftliche Revolution auf dem Kontinent: „Wenn ich in die Zukunft sehe“, sagt Mavo, „sehe ich Afrika mit genug Essen; ich sehe Afrika als Nahrungsspeicher und ich sehe Afrika als Essenskorb.“ Wie zum Beweis präsentiert in der nächsten Szene ein ugandischer Landwirt, wie groß die Knollen der Süßkartoffeln sind, die mit den Pellets gedüngt wurden.

Damit ist man schon bei einer der großen Botschaften des Dokumentarfilms: Der industrialisierte Mensch muss wieder zum Kreislauf der Natur zurückkehren, bevor ihm alles um die Ohren fliegt. Oder, wie Abruña es ausgedrückt: Put the poop back into the loop (Bring den Kot wieder in den Kreislauf). Wie das funktionieren könnte und wie es zum Teil schon funktioniert, zeigt der Filmer auf seiner Reise durch die USA, Uganda, Kenia, Großbritannien, Schweden, Deutschland und die Schweiz. Es sind beeindruckende Projekte, die man in Holy Shit zu sehen bekommt, etwa eine Wasseraufbereitungsanlage im Bundesstaat New York oder die erste Wiederaufbereitungsanlage von Trockentoiletten-Inhalten im Brandenburgischen Eberswalde.

Das Problem ist überall: Scheiße verkauft sich so schlecht. Patricia Arquette drückt das auf der Bühne etwas melodramatischer aus: „Ich habe folgende Nachricht von Gott erhalten: Du wirst das 15 Jahre lang machen und keinen wird es interessieren.“ Als Kind von Hippies sei sie selbst mit einer Outdoor-Toilette aufgewachsen, erzählt sie. Daher habe sie auch keine großen Berührungsängste mit Trockentoiletten gehabt. Rubén Abruña sind diese Vorbehalte offenbar auch bewusst, daher zeigt er in seinem Film sehr oft Männer, die mit fachkundigem Nicken erdartige Krümel zwischen den Fingern zerreiben und dabei erklären, dass es sich hier um in Kompost verwandelte menschliche Ausscheidungen handle, die „überhaupt nicht riechen“.

Nun, das Kino transportiert (bisher) keine Gerüche, daher muss man den Protagonisten in Holy Shit einfach glauben. Als Zuschauerin sollte man dem Film vielleicht nicht unmittelbar einen Restaurantbesuch anschließen, denn man sieht eben auch Ecken der Pariser Kanalisation und das Innere einer Nachbarschaftstoilette in Kampala, die man lieber nicht gesehen hätte.

Patricia Arquette gönnt sich nach der Vorführung in Berlin auch erst einmal eine Zigarette im Innenhof. Die letzten Tage seien anstrengend gewesen, sagt sie. Wenn man ihr gegenübersitzt, überlegt man, ob es vielleicht doch eher an der Müdigkeit gelegen haben könnte, dass sie sich so häufig über die Augen gewischt hat auf der Bühne. Hilft ihr die Prominenz, das Thema auf die politische Agenda zu bekommen? Arquette lacht ein wenig bitter: „Marken möchten oft mit Prominenten in Verbindung gebracht werden, aber nur sehr wenige Marken möchten mit Toiletten in Verbindung gebracht werden.“ Sie sei etwas frustriert und entnervt ob dieser Gleichgültigkeit, sagt die Schauspielerin. Aber: „Ich war schon immer mutig.“

Mit ihrer Oscarpreisrede hat Arquette 2015 für Aufsehen gesorgt, weil sie darin die Arbeit der Menschen von Give Love würdigte. Die Schauspielerin hatte die Organisation 2010 gegründet, um Hilfe zu leisten nach dem verheerenden Erdbeben auf Haiti. Vor Ort stellte sich heraus, dass Trockentoiletten ein wichtiger Bestandteil der Überlebenshilfe waren. Give Love hat sich seitdem auf die Errichtung ökologischer und sicherer Sanitäranlagen spezialisiert.

Sicher, das bedeute in diesem Zusammenhang auch Sicherheit für Frauen und Kinder, sagt Arquette: „Fehlende Toiletten gehören zu den Hauptgründen, warum Mädchen in vielen Ländern die Schule abbrechen. Sobald sie ihre Periode bekommen, haben sie keinen Ort, um damit umzugehen.“ Außerdem seien Frauen und Mädchen häufig sexueller Gewalt ausgesetzt, wenn sie öffentliche Toiletten aufsuchten oder gleich in der Natur ihre Notdurft verrichten müssten. Gute sanitäre Einrichtungen seien also unabdingbar für die Gesundheit, Sicherheit und Bildung von Mädchen und Frauen. Diesen Zusammenhang stellten viele Regierungen aber gar nicht her, kritisiert Arquette: „Sie geben Geld für die Prävention von Vergewaltigungen aus, sie wollen Mädchen in der Schule halten und investieren Geld dafür, aber sie verbinden es nicht mit Toiletten.“

Aktivist für die Notdurft

Toll an Holy Shit ist, dass der Film ganz vielseitige Eindrücke vermittelt – von einem traditionellen Massai-Dorf in Kenia geht es urplötzlich nach Winchester in England, auf das Festival Boomtown. Hier hat die witzigste Figur des Films ihren Auftritt: Hamish Skermer, Gründer eines Unternehmens, das weltweit Komposttoiletten auf Großveranstaltungen aufstellt. In einer Szene steht er auf einer Art Riesenheuhaufen, als hätte er gerade einen Achttausender bezwungen: „Das kommt heraus, wenn 260.000 Leute vier Tage lang scheißen.“

Würde man Skermer einen Shitivist nennen, einen Aktivisten für die Notdurft, er wäre wohl nicht beleidigt. Sein hippiesker Look mit Spitzbart und Cowboyhut führt allerdings in die Irre, denn dieser Mann sieht die Sache mit der Fäkalienentsorgung absolut nüchtern und benutzt klassischen Wirtschaftsjargon, der zugegebenermaßen auf Englisch smarter klingt als im Deutschen („an industrial scale of piss and shit collection„). Wahrscheinlich muss man so sprechen, um die Aufmerksamkeit von Geldgebern und Politikern auf sich zu ziehen. Er habe inzwischen erwirkt, sagt Skermer im Film, dass er die Hinterlassenschaften der Festivalbesucherinnen und -besucher sammeln und aufbewahren dürfe, nun kämpfe er dafür, sie auch nutzen zu können. Bisher ist es in Großbritannien illegal, menschliche Ausscheidungen als Dünger zu verwenden – nach Skermers Ansicht „eine Schande und Riesenverschwendung des Materials“. Die Gesellschaft hätte Angst „aus den falschen Gründen“.

Auch Carl Lindstrom spricht von Ängsten, wenn auch auf eine sehr viel bedächtigere Weise. Der schwedische Ingenieur entwickelte schon in den 1960er-Jahren die ersten kommerziell erfolgreichen Trockentoiletten. Später baute er sie für Krankenhäuser, Universitäten, Autobahnraststätten, Militärbasen auf allen Kontinenten. Über das Modell Trockentoilette sagt er: „Sie darf niemals stinken, sonst fühlen sich alle in dem Vorurteil bestätigt, dass es sich hier um ein Plumpsklo handelt, das nicht mehr in unsere Zeit passt.“ In seiner Scheune in Ystad zeigt er ein todschickes Modell, blendend weiß und von einem herkömmlichen Klo nicht zu unterscheiden. Die Hinterlassenschaften bewahrt man zehn Jahre lang in einem etwa gefrierschrankgroßen Container auf. Gravierender als die Ängste der potenziellen Nutzer sei aber die Angst der Abwasserindustrie, die um ihr Monopol fürchte. „Sie werden für ihre lukrative Arbeit kämpfen“, sagt Lindstrom, „mit Trockentoiletten würde die Entsorgung nur einen Bruchteil kosten.“

Welch gravierende Auswirkungen finanzielle Motive etwa auf Landwirte haben, zeigt der Film am Beispiel des Farmers Fred Stone aus Arundel im US-Bundesstaat Maine. Er hat jahrelang den Boden seiner Farm – wie viele andere Bauern in den Vereinigten Staaten – mit Klärschlamm gedüngt, der ihnen von Abwasseranlagenbetreibern kostenlos zur Verfügung gestellt worden war. In diesem Klärschlamm befanden sich per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), auch „ewige Chemikalien“ genannt, weil sie sich in der Natur nicht zersetzen. Das führte zu einer weitläufigen Verseuchung des Grundwassers, die Molkerei stellte etwa fest, dass die Milch von Stones Kühen zu giftig war, um sie zu trinken. Auch das Fleisch durfte nicht mehr in den Verkauf. Stone musste einen Großteil der Tiere töten, war finanziell ruiniert.

In solchen Momenten erinnert Rubén Abruñas Sendungsbewusstsein an frühere Michael-Moore-Dokumentationen: Hier ist ein Mann auf einer Mission. Die ganz große Lösung für ein globales Problem kann der Regisseur jedoch nicht anbieten, er stellt vielmehr verschiedene Einzelkämpferinnen und -kämpfer vor. Allerdings, so selbstkritisch ist Holy Shit dann doch, funktioniert nicht jedes System für jedes Gebiet gleichermaßen – klimatische Bedingungen müssen berücksichtigt werden, Städte haben andere Anforderungen als ländliche Gebiete, und natürlich sind auch die rechtlichen Voraussetzungen unterschiedlich.

Beim Publikumsgespräch nach der Filmpremiere in Berlin sagt der anwesende Protagonist Florian Augustin, er habe etwas gemischte Gefühle gehabt, als er Hamish Skermer auf seinem Heuberg habe stehen sehen. Augustins Unternehmen Finizio wandelt in einer Kompostanlage in Eberswalde Exkremente aus Trockentoiletten zu Humus um. Um diesen in die Landwirtschaft zu bringen, sagt Augustin, „brauchen wir strenge Grenzwerte und eine Qualitätskontrolle, um dafür zu sorgen, dass der menschliche Kreislauf ohne Gefahr für Mensch und Umwelt wieder geschlossen wird“. Diese Kontrollwerte versuche man gerade zu erarbeiten. Das Ziel: einen Humusdünger auf den Markt zu bringen, der konkurrenzfähig ist zu chemischen Düngern.

Als eine junge Frau aus dem Publikum sagt, sie würde am liebsten gleich loslegen und den Inhalt der Trockentoilette in ihrem Berliner Nachbarschaftsgartenprojekt auf die Beete verteilen, hebt Augustin noch einmal die Hand: Das solle sie lieber einem fachkundigen Institut überlassen. Es kann eben auch viel schiefgehen mit dem human shit.