Kino / Nachlese

Dokfilm: Hannah Arendt – Denken ist gefährlich

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USA/D 25, R: Jeff Bieber/Chana Gazit, FSK: 12, 90 min

Kneipe mit kleinem Speisenangebot ab 18 Uhr

Anlässlich des 50. Todestages von Hannah Arendt am 4.12.2025 widmet sich nach einem guten Jahrzehnt wieder ein Kinofilm dieser bedeutenden Philosophin – einer Aktivistin, Medienpersönlichkeit und furchtlosen Denkerin „ohne Geländer“. Berühmt wurde Hannah Arendt mit ihrer Studie zur Entstehung totalitärer Herrschaft. Umstritten ist sie für ihre Diagnose der „Banalität des Bösen“. Bewundert wird ihr unermüdliches und furchtloses Eintreten für die Freiheit des Denkens und die offene Gesellschaft. Durch Originalzitate aus Arendts Essays und Briefen, vorgetragen von Nina Hoss, sowie atmosphärische Archivaufnahmen entsteht ein intimes Porträt einer Intellektuellen, deren Leben geprägt war von der Erfahrung des Hitlerfaschismus und der Unfassbarkeit des Holocaust.

Der Film zeigt, wie Arendt als Jüdin und Widerstandskämpferin die Welt zu verstehen suchte – und warum ihre Gedanken über die Katastrophen des 20. Jahrhunderts direkt zu uns im Hier und Jetzt sprechen. HANNAH ARENDT – DENKEN IST GEFÄHRLICH ist eine ergreifende Nacherzählung dieses Lebens- und Denkwegs.

Pressestimmen zum Film

Hannah Arendt – Denken ist gefährlich

Kompakter, auch für Einsteiger geeigneter Dokumentarfilm über Leben und Werk der Philosophin und Publizistin
Von Margrit Frölich / epd film

Hannah Arendt ist die bedeutendste Denkerin des 20. Jahrhunderts. Ihre berühmte Studie über die Ursprünge totalitärer Herrschaft schaffte es in den letzten Jahren auf die Bestsellerlisten. Kurz vor Arendts fünfzigstem Todestag am 4. Dezember 2025 kommt nun ein Dokumentarfilm über diese faszinierende Persönlichkeit in die Kinos. Nina Hoss verleiht ihr ihre Stimme. Anhand der Stationen ihres Lebens zeigt der Film, wie unmittelbar Arendts Leben und Werk von den dramatischen Vorgängen ihrer Zeit geprägt waren.

Als die junge Hannah Arendt ihr Philosophiestudium in Marburg aufnahm, wo sie mit dem 35-jährigen Philosophen Martin Heidegger ein Liebesverhältnis einging, betrat Hitler die politische Bühne. »Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude wehren«, lautete Arendts Überzeugung. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 beherbergt sie verfolgte Kommunisten in ihrer Berliner Wohnung. Sie erstellt eine Sammlung über antisemitische Berichterstattung, wird denunziert und verhaftet. Nach ihrer Freilassung flieht sie nach Paris und rettet jüdische Jugendliche vor den Nazis nach Palästina. 1941 gelingt Arendt die Flucht in die USA. Zehn Jahre später wird sie amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Wirken in den USA und ihre umstrittene Berichterstattung über den Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem sind Themen im letzten Drittel des Films. Arendt mischte sich in die politischen Debatten der USA ein. Die McCarthy-Ära, der Vietnamkrieg und die Watergate-Affäre beschäftigten sie, und sie warnte vor der Krise der amerikanischen Demokratie.

Der Film stützt sich auf eingesprochene Zitate aus Arendts Schriften, Briefen und Gedichten sowie Fotos von ihr und ihren Weggefährten. Auch auf Ausschnitte aus Fernsehinterviews, insbesondere Arendts legendäres ZDF-Gespräch von 1964 mit dem Journalisten Günter Gaus. Einschätzungen von Weggefährten und Einordnungen heutiger Wissenschaftler*innen ergänzen das Spektrum. Hinzu kommen historische Archivaufnahmen, die die Zeit dokumentieren sollen. Neben Filmausschnitten mit atmosphärischem Kolorit finden sich Originalausschnitte zum Zeitgeschehen, darunter Aufnahmen mit Hitler, Filmdokumente von der Befreiung der Überlebenden der Konzentrationslager sowie vom Eichmann-Prozess in Jerusalem, an dem Arendt teilnahm. Gelegentlich irritiert die Herauslösung von Archivmaterial aus dem konkreten historischen Zusammenhang. So kommt zum Beispiel ein Tonausschnitt vor, in dem Hitler »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« androht. Dieser Ausschnitt ist einer Sequenz unterlegt, in der es um den entflammten Antisemitismus infolge der Weltwirtschaftskrise 1929/30 geht. Thematisch mag das stimmig sein, doch es ist historisch ungenau. In Wirklichkeit hielt Hitler diese ominöse Rede am 30. Januar 1939 vor dem Reichstag, kurz nach den Novemberpogromen, als die Verfolgung von Juden und Jüdinnen in systematische Vernichtung mündete. Nichtsdestotrotz lohnt sich dieser sehenswerte Film für alle, die Hannah Arendt entdecken und sich von ihrem Lebensmut und der Aktualität ihres Denkens überzeugen möchten.


Messerscharfe Denkerin der Stunde

(SWR)

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod hallt Arendts Stimme mit durchdringender Aktualität in unsere Zeit. Manchen gilt sie gar als „Denkerin der Stunde“. Ihre messerscharfen Analysen und ihre brillante Rhetorik bewegen und überzeugen in Zeiten von Autoritarismus, Vertreibung und Antisemitismus, in denen das Vertrauen in demokratische Prozesse sinkt, vielleicht mehr denn je. Ihre Geschichte und ihre Stimme zeigen auch heute noch, wie man als Privatperson und Bürger:in in dunklen Zeiten handeln kann.


Hannah Arendt – Denken ist gefährlich

„Ein selbstständig denkender Mensch wird unbequem“
(Finn Sünkler, TAZ)

Im Interview: Waltraud Meints-­Stender (1960 geboren, Professorin für Politik und Bildung an der Hochschule Niederrhein und Vorsitzende des Hannah-Arendt-Vereins für politisches Denken)

taz: Frau Meints-Stender, es gibt bereits zahlreiche Bücher und Filme über Hannah Arendt. Wozu braucht es noch einen Film über sie?

Waltraud Meints-Stender: Das liegt meiner Meinung nach auf der Hand: Die Aktualität, die Unabhängigkeit und der Mut ihres Denkens. Hannah Arendts Ausgangspunkt sind die Erfahrungen ihrer Zeit. Unsere Erfahrungen sind zwar nicht die von Arendt, aber in ihren und unseren Erfahrungen liegen grundlegende Probleme, die bis heute nicht geklärt sind und heute unter anderen Vorzeichen wiederkehren.

taz: Wie meinen Sie das?

Meints-Stender: Es gibt autoritäre Elemente in allen modernen Demokratien. Das bezieht sich auf die Missachtung sozialer Ungerechtigkeiten – nicht nur national, sondern auch global. Dazu zählen die eingeschränkten Rechte von Minderheiten, die Erosion der Rechtsstaatlichkeit und die Einflussnahme von Politikern auf Richterwahlen.

taz: Hannah Arendt sagte in ihrem letzten Interview, dass es keine gefährlichen Gedanken gebe, das Denken an sich sei gefährlich. Warum ist das Denken gefährlich?

Meints-Stender: Die zentrale Idee dieses Satzes besteht darin, dass jemand, der selbstständig denkt und an die Stelle eines anderen zu denken versucht, zwangsläufig unbequem wird. Ein solcher Mensch verhält sich widerständig, stellt gängige Meinungen infrage und argumentiert gegen den Mainstream. Denken ist in diesem Sinne für die Denkenden gefährlich, weil sie sich nicht unterwerfen, sondern sich sowohl auf andere als auch auf sich selbst beziehen. Sie treten also in eine reflexive Auseinandersetzung darüber ein, was sie denken und wie sie handeln.

taz: Autoritäre Kräfte erstarken derzeit vielerorts, in Europa, den USA und hier in Deutschland. Demokratische Grundwerte geraten immer mehr unter Druck: Haben wir als Gesellschaft verlernt, selbstständig und kritisch zu denken?

Meints-Stender: Nein. Ich denke, dass Menschen durch einen gemeinsamen Austausch öffentliche Räume schaffen können, also Orte, an denen Meinungen sichtbar und hörbar werden. Die sogenannten sozialen Medien erschweren diesen Austausch jedoch.

taz: Inwiefern?

Meints-Stender: Öffentliche Rede, also ein Austausch über beispielsweise Migration oder soziale Fragen, sollen ja Wirklichkeiten enthüllen. Das ist in den sozialen Medien nicht mehr gegeben. Sie sind rechtlich nicht gebunden und wirken häufig ausschließend. Es findet also kein richtiger Austausch mehr statt. Stattdessen verbreiten sich Lügen, die Interesse vortäuschen, ohne dass ein echtes Gespräch stattfindet. Dennoch: Nein, ich glaube nicht, dass man das selbstständige Denken verlernen kann.

taz: Welches ist das zentrale Vermächtnis Hannah Arendts für unsere heutige Zeit?

Meints-Stender: Besonders hervorzuheben sind ihr Mut, ihre intellektuelle Unabhängigkeit sowie ihre Fähigkeit, schwierige Wahrheiten auszusprechen, auch wenn dies mit Kritik verbunden ist. Sie hat sich den Realitäten gestellt, wie sie sind. Arendt verstand Denken nicht als abstrakte, elitäre Tätigkeit, sondern als aktive, politische Praxis und somit als Voraussetzung für verantwortliches Handeln in der Gesellschaft. Das macht sie bis heute zu einer einzigartigen Persönlichkeit.

taz: Inwiefern gelingt es dem im September erschienenen Dokumentarfilm „Denken ist gefährlich“ von Jeff Bieber und Chana Gazit, den Menschen Hannah Arendt vollständig abzubilden?

Meints-Stender: Ich glaube, das ist unmöglich. Das ist keine Schwäche des Films, sondern man muss auch das Medium selbst in seinen Grenzen wahrnehmen. Er parallelisiert ja die politischen Ereignisse mit der Biografie Hannah Arendts und versucht dadurch zu zeigen, wie sie darauf reagiert hat. Aufgrund der Vielzahl der Ereignisse kann dies natürlich nur oberflächlich erfolgen. Der Anspruch des Films ist zwar sehr interessant, aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Ereignisse jedoch nicht einlösbar.