Emilia Pérez
F 24, R: Jacques Audiard, FSK: 12, 130 min
Mit Zoë Saldaña, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz, Mark Ivanir
Die Anwältin Rita ist ein kleines Licht in einer großen Firma: überqualifiziert, aber unterrepräsentiert. Ihrer Intelligenz verdanken Drogendealer, Mörder und Kartellbosse die Freiheit. Im Blitzlichtgewitter sonnt sich hinterher ihr stets korrumpierbarer Chef. Eines Tages bietet sich ihr ein Ausweg: Kartellboss Manitas del Monte will mit ihrer Hilfe aus der Mafia-Welt aussteigen. Rita soll den Schlussstrich unter sein zweifelhaftes Lebenswerk ziehen, ein neues Leben für seine Frau Jessi und die Kinder organisieren und einen Plan umsetzen, den er seit Jahren im Verborgenen vorbereitet hat: sich voll und ganz in die Frau zu verwandeln, die er tief im Inneren schon immer war: EMILIA PÉREZ. Doch Manitas’ Vergangenheit ist eine Geschichte, die nur ihren eigenen Regeln gehorcht, die wiederkehrt und sich mit aller Gewalt rächen wird.
Nichts weniger als eine einzigartige Kino-Offenbarung ist dieses epochale Meisterwerk mit grandioser Starbesetzung, das in Cannes mit gleich zwei Preisen ausgezeichnet wurde. Der mehrfach preisgekrönte Regisseur Jacques Audiard schreibt sich mit dieser formal revolutionären Geschichte über die absolute Freiheit der Selbsterfindung endgültig in die Geschichte ein. Eine grandiose Show voller Vitalität und Energie, die alle Sinne fesselt, in ihren Bann zieht und die Macht des Kinos so leidenschaftlich zelebriert wie noch nie.
„Emilia Pérez“ besticht mit einer gewagten Mischung aus Gangsterfilm und Musical, die gleichermaßen überrascht wie fasziniert. Trotz erzählerischer Schwächen überzeugt das Werk durch die beeindruckenden Hauptdarstellerinnen und seine visuelle wie vor allem musikalische Wucht. Wer sich auf die ungewöhnliche Inszenierung einlässt, wird mit einem sehr originellen Kinoerlebnis belohnt. (derfilmjournalist.de)
Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes an Jacques Audiard und Darstellerpreis für das weibliche Schauspielensemble
Fünffach ausgezeichnet beim Europäischen Filmpreis:
Bester Film, Beste Regie (Jacques Audiard), Beste Hauptdarstellerin (Karla Sofía Gascón), Bestes Drehbuch (Jacques Audiard), Bester Schnitt (Juliette Welfing)
10 x nominiert bei den Golden Globe Awards und damit als Film mit den meisten Nominierungen heißer Kandidat für die Oscars!
(Nominierungen: Bester Film, Bester fremdsprachiger Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin, Beste Nebendarstellerin, Bestes Drehbuch, Beste Filmmusik, Bester Filmsong)
Der Film läuft auch am Mi 05.02. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.
Pressestimmen zum Film
„Große Emotionen und ein spektakulärer Showdown, von dem man mitgerissen wird, ob man will oder nicht: ein faszinierendes Kinoexperiment, das es sich anzusehen lohnt!“ (Alice Fischer/ perlentaucher.de)
Emilia Pérez
Oliver Armknecht/ film-rezensionen.de
Als Anwältin hat Rita (Zoe Saldaña) viel Erfolg, sie hat zahlreiche Verbrecher vor Gericht vertreten und freibekommen, auch wenn den Ruhm dafür meistens ihr Chef einheimst. Kartellboss Manitas del Monte (Karla Sofía Gascón) ist das Talent der Mexikanerin aber nicht verborgen geblieben, weshalb er einen besonders heiklen Auftrag für sie hat. Er will einen Schlussstrich unter sein kriminelles Leben ziehen und noch einmal neu anfangen. Vor allem will er in Zukunft ein Leben als Frau führen können, was er sich schon länger erträumt hat. Rita soll nicht nur den passenden Arzt finden, der diese geschlechtsangleichende Operation durchführen kann. Sie soll zudem ein neues Zuhause für del Montes Ehefrau Jessi (Selena Gomez) und die beiden Kinder finden, die nichts von der neuen Identität erfahren dürfen. Doch so einfach wie gedacht ist das mit dem Schlussstrich nicht …
Bekanntes neu interpretiert
Jacques Audiard zählt sicherlich zu den spannendsten französischen Filmemachern der Gegenwart. Natürlich ist er vor allem mit Dramen bekannt geworden. Aber selbst wenn er sich an andere Genres heranwagt, etwa den Western The Sisters Brothers oder den tragikomischen Schwarzweiß-Liebesfilm Wo in Paris die Sonne aufgeht, zeigt er seine Klasse. Insofern darf man ihm grundsätzlich vieles zutrauen. Und doch dürften die meisten im Publikum überrascht sein, wenn sie sich Emilia Pérez anschauen. Nicht nur, dass er hier erneut einen komplett anderen Weg einschlägt, den man so nicht erwartet hätte, und der inzwischen 72-Jährige eine Experimentierfreudigkeit demonstriert, wie man sie selbst bei jungen Kollegen und Kolleginnen kaum findet. Man weiß ja nicht einmal, als was man das neueste Werk des Veteranen bezeichnen soll.
As grundsätzliche Szenario ist dabei gar nicht mal so ungewöhnlich. Dass jemand sein kriminelles Dasein hinter sich lassen will, ist in Filmen ein wiederkehrendes Motiv. Ebenso oft kommt es dazu, dass irgendwelche Schwierigkeiten dabei auftauchen, weil etwa ein letzter Coup schiefgeht oder man nicht die Unterwelt verlassen darf. Regelmäßig werden solche Figuren dann von ihrer Vergangenheit eingeholt. Das ist bei Emilia Pérez ebenfalls der Fall. Das Besondere ist jedoch, dass die Hauptfigur bei dem Versuch, alles hinter sich zu lassen, auch das Geschlecht wechselt. Manche werden das für einen bösen Scherz halten oder denken, dass das als Maßnahme etwas übers Ziel hinausschießt. Doch die Titelfigur macht früh klar, dass es hier nicht um die Flucht vor sich selbst geht, sondern darum, endlich man selbst sein dürfen. Audiard verbindet als das typische Krimimotiv mit einem LGBTQIA-Thema, das in den letzten Jahren emotional sehr aufgeladen wurde.
Wild, verrückt und faszinierend
Diese Grenzüberschreitungen setzen sich bei den Genres fort. Anfangs meint man noch, es mit einem Krimi zu tun zu haben. Im Zwischenteil ist der Film mehr ein Drama. Später tritt Audiard noch einmal aufs Gaspedal, die Bezeichnung Thriller passt während dieser Passagen am besten. Und als wäre das noch nicht genug, wird zwischendrin auch immer wieder gesungen, in passenden wie unpassenden Momenten, ein typisches Musical eben. Nur dass nicht viel typisch ist daran. Die Mischung ist auf jeden Fall wild, Emilia Pérez arbeitet zwar mit lauter bekannten Elementen, unterläuft dabei aber auch kontinuierlich Erwartungen. So wie die Protagonistin zwischen mehreren Identitäten hin und her wechselt, ist auch der Film selbst in einem ständigen Wandel begriffen.
Ob es das in der Form gebraucht hätte, darüber kann man sich natürlich streiten. Die Musical-Nummern werden beispielsweise nie gerechtfertigt. Aber sie sind sehens- und hörenswert, tragen dazu bei, dass der Film nicht nur bei der Weltpremiere in Cannes 2024 frenetisch gefeiert wurde. Das Spiel mit den Identitäten ist auch insofern kein bloßes Gimmick, da dies eine der entscheidenden Fragen des Films sind. Können wir uns ändern? Haben wir einen Einfluss darauf, wer wir sind? Wie sehr werden wir durch andere definiert, durch äußere Umstände und Menschen? Wenn die Protagonistin in Emilia Pérez einen Wandel an sich durchführt und zugleich für einen anderen Wandel kämpft, dann auch aus dem Wunsch heraus, selbst über sich bestimmen zu können und darin eine Freiheit zu finden. Und zumindest phasenweise drückt man ihr dabei die Daumen – bis man sich daran erinnert, was sie als er getan hat und vielleicht auch wieder tun wird. Denn eines ist sicher: Wenn uns Audiard auf diese verrückte und faszinierende Reise mitnimmt, ist nichts sicher.
Emilia Pérez – Review
von Anne Wernicke
Ein hoch dramatisches Musical über das Leben dreier sehr unterschiedlicher Frauen in Mexiko schielt schon mit einem Auge auf die Oscars. Und das zu Recht.
Emilia Pérez ist kein typischer 0815-Film für den sporadischen Kinogänger. Wir wissen das und auch der Regisseur Jacques Audiard weiß es. Der Franzose inszeniert gerne nischige, zwischenmenschliche Dramen. 2021 feierte er zuletzt mit Wo in Paris die Sonne aufgeht einen großen Erfolg im Genre-Kino. Jetzt ist er mit seinem neuesten Werk auf dem Weg zu neuen Höhen. Bei den internationalen Filmfestspielen von Cannes wurde Emilia Pérez bereits mit dem Jurypreis und dem Preis für die beste weibliche Hauptrolle geehrt. Da ist der Oscar für den besten internationalen Film schon fast zum Greifen nahe. Und die Sterne dafür stehen günstig.
In Emilia Pérez wird die junge Anwältin Rita (Zoe Saldaña) aus Mexiko-Stadt eines Tages von dem Kartellboss Manitas Del Monte (Karla Sofia Gascon) um einen ungewöhnlichen Gefallen gebeten. Sie soll einen Arzt auftreiben, der bei ihm eine geschlechtsangleichende Operation durchführt. Denn Manitas will voll und ganz als Frau leben. Von diesem Plan dürfen nicht einmal seine Frau Jessi (Selena Gomez) und die Kinder etwas erfahren, also täuscht Manitas seinen Tod vor und beginnt ein neues Leben als Emilia Pérez. Doch die Sehnsucht nach ihrer Familie treibt sie zurück nach Mexiko und es beginnt ein Balanceakt zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Natürlich ist das nicht der erste Film, in dem das Leben einer Transperson abgebildet wird, aber es ist bestimmt einer der Intensivsten. Alleine die Rahmenbedingungen zeichnen einen unglaublich interessanten Weg voraus. Ein Kartell Oberhaupt aus Mexiko, wo im Schnitt elf Frauen am Tag durch einen Femizid sterben, gibt all seine Macht und das Familienleben auf, um als Frau zu leben. Doch es geht nicht nur um Emilia. Auch Rita und Jessi stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Auch sie suchen nach ihrer Identität und ihrem Platz im Leben.
Auf Freud’ folgt Leid
Der Film zeigt alle Facetten einer solch schwerwiegenden Entscheidung. Jessi und die Kinder leben in dem Glauben, ihr Ehemann und Vater sei tot, obwohl Emilia weiterhin Teil ihres Lebens ist. Diese fühlt sich hingegen zum ersten Mal wohl in ihrer Haut und kann endlich das Leben nach ihren Vorstellungen bestreiten. Dadurch kommt es zu sehr intensiven Szenen, beispielsweise als die beiden über Jessis Ehe sprechen und ob sie wirklich glücklich gewesen ist. Oder als einer der Söhne zu Emilia sagt, dass sie so riecht wie sein Papa und sie das sichtlich mitnimmt.
Audiard trifft mit solchen Nuancen mitten ins Herz und scheut sich dabei nicht, legitime Fragen zu stellen. War es das alles wert? Wäre es nicht besser gewesen, der Familie reinen Wein einzuschenken? Sie blitzen immer wieder hindurch, ohne als vorwurfsvoll oder wertend aufgefasst zu werden. Auch Rita, die eine tiefe Freundschaft zu Emilia entwickelt hat, muss sich immer wieder selbst hinterfragen. Denn eigentlich hatte sie sich ihr Leben als Anwältin ausgemalt, um in Mexiko etwas zu verändern. Die Frage, inwiefern sie das noch tut, lässt der Film für die Zuschauenden zur eigenen Interpretation offen.
Der Fokus liegt zwar klar auf dem Lebensweg der drei Frauen, aber die Missstände in Mexiko und gerade die Gewalt gegen Frauen sind auch Teil dieses Films. Und das nicht nur so nebenher. Durch den Kartellhintergrund werden immer wieder sinnvolle Wege gefunden, die Zustände der mexikanischen Gesellschaft glaubhaft zu thematisieren. So wird zum Beispiel deutlich, wie abhängig Jessi all die Jahre von ihrem Mann war und welche Ängste sie in diesem Milieu durchlebt hat. Und jegliches Engagement, ein vermeintlicher Befreiungsschlag, all das kann in Sekunden zunichtegemacht werden.
Einmal durchatmen bitte
Diese schweren Themen werden gelegentlich durch Musical Nummern aufgebrochen. Das klingt vielleicht unpassend, ergibt aber Sinn, wenn ihr erstmal in das Spektakel eingetaucht seid. Zu Beginn des Films gibt es direkt eine tolle Nummer, in der hart arbeitenden Frauen aus allen Schichten zusammenkommen und darüber singen, wie sie das Land am Laufen halten und ihnen dafür keine Wertschätzung entgegengebracht wird.
Einfallsreiche Choreographien und bunte Outfits bringen außerdem Humor und Leichtigkeit ins Spiel. Ein willkommener Gegenpol zu der sonst sehr ernsten Handlung. Musical-Muffel müssen aber nicht gleich in Panik verfallen. Der Redeanteil ist schon deutlich höher, es wird also nicht permanent geträllert.
Einen Haken gibt es allerdings. Wenn ihr Emilia Pérez unbedingt sehen wollt, müsst ihr euch ins Kino begeben. In Deutschland wird der Streifen nämlich nicht beim Streaming-Anbieter eures Vertrauens laufen. Einerseits ist das natürlich toll für die Kinokassen, doch wir glauben, dass dadurch viele Menschen die Chance verpassen werden, diesen großartigen Film an einem verregneten Sonntag Nachmittag zufällig zu schauen und begeistert zu werden.
Fazit
Emilia Pérez ist einzigartig. Jacques Audiard nimmt ein komplexes Thema und schmeißt es in einen noch komplexeren Kontext. Das ist verdammt mutig und wird viele Zuschauende abschrecken, weil sie entweder Musicals scheuen oder ihnen die LGBTQ+ Community fremd ist. Doch gerade dann ist es ratsam, diesen Film zu schauen. Er steckt voller intensiver Emotionen und wird von großartigen Schauspielerinnen getragen. Eine hervorragende Möglichkeit, den eigenen Horizont zu erweitern und sich mit Themen auseinanderzusetzen, die einen vielleicht nicht direkt betreffen, aber so durchaus verstanden werden können.
Emilia Pérez
Filmkolumne von Alice Fischer/ perlentaucher.de
Ein Film über einen Gangsterboss, der sich zur Frau umoperieren lässt und danach seine alte Familie zurückgewinnen will… und dann auch noch als Musical! Jacques Audiards „Emilia Pérez“ geht ungewöhnliche Wege, verweigert die einfache Identifizierung und überzeugt am Ende mit großen Gefühlen.
Jedem Produzenten müssten die Haare zu Berge stehen, wenn er den Plot von Jaques Audiards in Cannes gefeiertem Film zu lesen bekommt: Die Rechtsanwältin Rita Mora Castro wird eines Tages zu einem der berüchtigtsten Kartell-Bosse Mexikos bestellt. Juan „Manitas“ Del Monte will ein neues Leben beginnen – und zwar als Frau. Rita soll ihm bei der Transition helfen und einen geeigneten Arzt finden. Und außerdem: das alles als Musical! Eines kann man über Audiards Film mit Sicherheit sagen: Das haben wir so noch nie gesehen.
Die Geschlechtsumwandlung gelingt und Manitas sieht sich endlich befreit von seinem von Geburt an abgelehnten Körper, aber auch von den zahlreichen Verbrechen, die mittlerweile auf seinem Gewissen lasten. Rita (Zoë Saldaña), die zuvor trotz all ihrer Engagements und Erfolge als Anwältin ein prekäres Dasein führte, ist durch den Deal reich geworden und hat ebenfalls ein neues Leben begonnen. Doch eines Abends sitzt bei einem Essen mit Kollegen plötzlich Emilia neben ihr, eine beeindruckende Frau, die sie erst nach einiger Zeit als den ehemaligen Drogenboss erkennt. Eines fehlt Emilia nämlich in ihrem neuen Leben – ihre Kinder und die Ehefrau Jessi, die, im Glauben, Manitas sei getötet worden, im Exil in der Schweiz zurückblieben. Rita soll ihr nun dabei helfen, die Familie zurückzuholen.
Den Mafiaboss Manitas spielt die spanische Transschauspielerin Karla Sofía Gascón. Tatsächlich ist die Verwandlung von vierschrötigem Kartellboss in eine kultivierte Dame ziemlich beeindruckend. Nun beginnt ein absurdes Versteckspiel: Kinder und Ehefrau werden zu Emilia gebracht, nur dürfen sie auf keinen Fall wissen, wer sie ist. Emilia gibt sich als fürsorgliche Tante aus, was zu nicht nur einen schrägen Situation führt.
In Cannes war „Emilia Pérez“ ein voller Erfolg: Die Schauspielerinnen wurden kollektiv mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet, außerdem gewann der Film den Jury-Preis. Mittlerweile gab es aber auch Kritik: der französische Philosoph und Queer-Theoretiker Paul B. Preciado warf Audiard in der französischen Zeitung Libération vor, gefährliche Stereotype über Transmenschen zu transportieren, sie als psychopathisch und verlogen darzustellen. Tatsächlich gibt es im Film Szenen, bei denen man sich zumindest die Frage stellen kann, ob sie im Kontext der Debatte über Transgender nicht tatsächlich problematisch sind: Emilia ist eine treusorgende Tante, der ehemaligen Ehefrau Jessi, gespielt von Selena Gomez, ermöglicht sie jeden Luxus, die Kinder werden verwöhnt. Doch all das hat ein Ende, als Jessi einen neuen Mann kennenlernt. Die Szene, in der Emilia ihren ganzen kultivierten Habitus fallen lässt und die männliche Wut und Eifersucht des Drogenbosses wieder durchbricht, sorgt für Gänsehaut und ist hervorragend gespielt. Die Message, die man darin sehen kann, wenn man will, ist aber problematisch: So sehr jemand auch Frau sein möchte und sich wie eine Frau fühlt… kann er den Mann tief im Inneren doch nicht unterdrücken, wenn es ums Ego geht? Die Kritik an dieser Darstellung ist berechtigt, andersherum könnte man Audiard allerdings durchaus anrechnen, dass er seine Figuren komplex aufbaut und zeigt: Menschen haben viele Facetten und kein Geschlecht ist auf bestimmte Eigenschaften festgelegt.
Eindimensional oder klischeehaft ist der Film auf keinen Fall: Emilia wird zur Wohltäterin, um für ihre schrecklichen Taten Abbitte zu leisten. Sie gründet eine Stiftung, die den Angehörigen von im mexikanischen Drogenkrieg getöteten oder vermissten Personen hilft, ihre Familienmitglieder wiederzufinden. Doch wer sitzt bei einer großen Spendengala im Publikum? Nur korrupte Politiker und feige Beamte, die versuchen, ihre schmutzigen Geschäfte mit Wohltätigkeit unter den Teppich zu kehren. In einer famosen Tanz- und Gesangseinlage klagt Rita die Menschen im Publikum an.
Alles ist hier nur Show. Diese Artifizialität spiegelt der Film auch in seiner Optik wider: Kulissen sind Kulissen, oft wird alles dunkel, die Scheinwerfer sind nur auf die Singenden gerichtet, ihre Umgebung verharrt wie eingefroren. Audiard vollführt den tollkühnen Spagat zwischen der kruden politischen Realität, wie man sie von einem Thriller über den mexikanischen Drogenkrieg erwarten würde, und einer Musicalbühne. Für die Musik hat Audiard den französischen Komponisten Clément Ducol engagiert, der schon die Lieder für Leos Carax‘ „Annette“ lieferte. Hier sind die Songs ähnlich seltsam: schön, ein bisschen schräg und wenig eingängig, gehen aber unter die Haut.
Man ist sich nach diesem Filmerlebnis nicht ganz sicher, was man gerade gesehen hat. Ganz der Logik des Musicals widersprechend, bietet Audiard keine einfache Identifizierung an, keiner ist unschuldig, aber einfach verurteilen lässt sich auch niemand. Was es gibt, sind große Emotionen und einen spektakulären Showdown, von dem man mitgerissen wird, ob man will oder nicht. In jedem Fall ist Audiards Film ein faszinierendes Kinoexperiment, das es sich anzusehen lohnt.