Kino / Nachlese

Perfect Days

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J 23, R: Wim Wenders, FSK: o.A., 125 min
Goldene Palme in Cannes für den besten Schauspieler 
Oscar-Nominierung für Japan als bester internationaler Film

Hirayama, ein Mann im mittleren Alter, reinigt öffentliche Toiletten in der japanischen Metropole Tokio. Er scheint mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben vollauf zufrieden zu sein und widmet sich abseits seines äußerst strukturierten Alltags seiner Leidenschaft für Musik, die er von Audiokassetten hört, und für Literatur, die er allabendlich in gebrauchten Taschenbüchern liest. Er liebt Bäume und hält besonders interessante Exemplare mit seiner Kamera fest, er besucht eine Badeanstalt und seine Stammkneipe. Durch eine Reihe unerwarteter Begegnungen kommt nach und nach eine Vergangenheit ans Licht, die er längst hinter sich gelassen hat. PERFECT DAYS ist eine tief berührende und poetische Betrachtung über die Schönheit der alltäglichen Welt und die Einzigartigkeit eines jeden Menschen.

„Perfect Days“ ist ein großartiger Film – ganz ruhig, ganz zärtlich, poetisch und voller Schlichtheit. (NDR)

Wim Wenders entfaltet seine filmische Hommage an sein Vorbild Yasujiro Ozu in eindrucksvoller Seelenruhe, in der Ansätze dramatischer Zuspitzungen hinter den sanften Gleichmut der Bilder zurücktreten müssen. Detailgenau in der Lebenswelt der Hauptfigur, weitet sich der Film zur liebevollen Kinofantasie eines Lebens, das sich in der Form, die es sich selbst gibt, genug ist.

„Er ist einer jener Menschen, die sich den Blick für die kleinen und schönen Dinge im Leben bewahrt haben. Einer, der sich nur schwer aus der Bahn werfen lässt, und sollte es dennoch geschehen, nur wenig braucht, um sich seines Glücks auf Erden bewusst zu werden. Hirayama ist in dieser Hinsicht ein Vorbild für uns alle.“ (Christoph Waldboth, SALTO)

Der Film läuft auch am Mi 28.02. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.


„The Tokyo Toilet“-Projekt

… ist ein Stadterneuerungsprojekt, bei dem 17 öffentliche Toiletten in der japanischen Hauptstadt von Architekten aus der ganzen Welt in wahre Kunstwerke verwandelt werden. Ein Dutzend Toiletten sind bereits fertiggestellt und für die Öffentlichkeit zugänglich, darunter stille Örtchen mit bunten, transparenten Kabinen, die erst beim Schließen der Tür den Blicken verborgen werden. Die Einrichtungen im Tokioter Stadtteil Shibuya sind kostenlos, rollstuhlgerecht und werden von einem Team von Reinigungskräften in tadellosem Zustand gehalten. Wim Wenders, ein großer Architektur-, Japan- und vor allem Menschenfreund hat ihnen nun ein filmisches Denkmal gesetzt.
https://tokyotoilet.jp/en/


Filmkritik:
Protokoll eines gelungenen Lebens: „Perfect Days“, Wim Wenders’ beglückender jüngster Film

Von Stefan Grissemann, profil

Eine hochmusikalische Kino-Reise nach Tokio: Regie-Altmeister Wim Wenders begibt sich in den Stadtteil Shibuya, um dort Tagesroutinen, Taktgefühl und Toilettendesign zu feiern.

Man wird im Filmangebot dieser Tage kein beseelteres Werk als „Perfect Days“ finden. Kühne These, mag sein. Aber die Schlichtheit und Ruhe dieser Erzählung, die um einen alleinlebenden älteren Arbeiter kreist, sind kaum vergleichbar mit all den atemlosen kulturellen Aktualitäten, die uns mehrheitlich bedrängen. Die Betonung der scheinbar geringen Dinge, die ein Leben ausmachen, ist hier entscheidend: Wim Wenders, mit 78 auf der Höhe seiner Kunst (siehe auch sein 3D-Künstlerporträt „Anselm“), errichtet in „Perfect Days“ der Selbstgenügsamkeit und dem Zauber des „Gewöhnlichen“, das sich bei genauerer Inspektion in etwas ganz Einzigartiges verwandelt, ein Denkmal.

Der schweigsame Hirayama, benannt übrigens nach dem demütigen Helden in dem von Wenders verehrten japanischen Kinoklassiker „Die Reise nach Tokio“ (1953, Regie: Yasujiro Ozu), ist Toilettenreiniger. Täglich fährt er aus dem Tokioter Vorort, in dem er lebt, mit dem Auto nach Shibuya, um dort öffentliche Bedürfnisanstalten zu putzen. Er geht seiner Arbeit mit Präzision und Hingabe nach, weil er dabei nicht bloß auf die Beseitigung von Schmutz konzentriert ist, sondern auch auf die Schön- und Eigenheiten der Welt um ihn herum: auf die liebenswerten Sonderlinge, denen er täglich begegnet, auf seinen nervigen jungen Kollegen, auf die Kinder, die ihn – im Gegensatz zu ihren Eltern – wahrnehmen, auf seine stille Herzlichkeit reagieren. „Perfect Days“ ist das Porträt eines bescheidenen Mannes, der wie unsichtbar durch die Welt geht – und gerade darin eine ungeahnte Art der Freiheit entdeckt.

Der charismatische Charakterdarsteller Kōji Yakusho trägt diesen Film praktisch im Alleingang: Seine Sanftheit überträgt sich; die Energie, die er ausstrahlt, ist vorbehaltlos positiv. Mit der Einsamkeit, in der er lebt, hat Hirayama sich arrangiert, seine Tagesroutinen (Pflanzenpflege, Baumfotografie, Afterwork-Drink) bedeuten ihm so viel wie die Literatur William Faulkners und Patricia Highsmiths, deren Werke er in Antiquariaten billig ersteht und spätabends verschlingt, bis ihm die Augen zufallen. Seine täglichen Autofahrten bespielt er mit seiner Retro-Kassettenkollektion, mit der Musik Lou Reeds, Patti Smiths und Otis Reddings. Das andere Leben, das er einst geführt und hinter sich gelassen hat, zeichnet sich ab, als eines Nachts seine Nichte vor der Tür steht.

„Perfect Days“ ist nebenbei auch das Porträt hochklassigen Designs im öffentlichen Raum: Die Toilettenanlagen, die man in den vergangenen Jahren in Shibuya errichtet hat, sind bunte Wunderwerke postmoderner Gestaltung, inklusive transparenter Schutzwände, die erst bei Verriegelung undurchschaubar werden. Die Betreiber des „Tokyo Toilet Project“ hatten Wenders gebeten, eine Serie dokumentarischer Kurzfilme über diese Bauten zu drehen, doch der Regisseur hatte anderes im Sinn: Er konzipierte auf Basis dieser Vorgabe lieber einen Spielfilm, eine streng humanistische, spirituelle Erzählung, die uns nun, ab übermorgen im Kino, vorliegt.

Am Ende, im frühen Licht eines neuen Tages, dringt Nina Simones unverwechselbare Stimme aus Hirayamas Autoradio, kündet vom Zauber der Morgendämmerung und von einem gelungenen, unscheinbaren Leben: „It’s a new dawn / It’s a new day / It’s a new life for me / And I’m feeling good.“ Das Glück und die Tränen, die Melancholie und die Seligkeit sind in dieser herzergreifenden Szene, die einen der allergrößten Momente des Gegenwartskinos festhält, nicht mehr voneinander zu trennen.