Kino / Nachlese

Sterben

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D 24, R: Matthias Glasner, FSK: 16, 182 min
Prädikat besonders wertvoll

Im Zentrum des autobiografisch inspirierten Familienepos steht Dirigent Tom (Lars Eidinger), der sich mit Krankheit und Sterben in seiner zerrütteten Familie auseinandersetzen muss. Erst die Konfrontation mit dem Tod führt die Familie wieder zusammen und legt tiefe Abgründe frei. Das 3-stündige Drama in mehreren Akten ist exzellent gespielt bis in die Nebenrollen; es lädt ein, sich existenziellen Fragen zu stellen: über das Lieben, das Leben – und das Sterben. Ein großer, unter die Haut gehender Film über die Intensität des Lebens angesichts der Unverschämtheit des Todes, zart und brutal, lustig und todtraurig, und manchmal überraschend schön.
Deutscher Filmpreis u.a. für „Bester Spielfilm“, „Beste weibl. Hauptrolle“,“ beste Filmmusik“ / Bambi „Bester Schauspieler“, Silberner Bär für das beste Drehbuch u.a.

Matthias Glasner gelingt mit „Sterben“ die Quadratur des Kreises: Mutig, zärtlich, komisch und überraschend erzählt er mit großartigen Schauspielern vom Leid am Leben und der Sehnsucht nach Erlösung. (artechock.de)

Ich wünsche mir zutiefst, dass auch wir als in unserer Kultur aufgewachsene Menschen irgendwann einmal das Ruder herumreißen und erkennen, dass dieses Sterben – auch wenn das natürlich wie eine Floskel klingt – eben das Leben bedeutet (Corinna Harfouch)

Der Film läuft auch am Mi 27.11. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.

Pressestimmen zum Film „Sterben“

Begründung der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) zur Vergabe des Prädikats „Besonders wertvoll“
Der neue Film von Matthias Glasner erzählt in mehreren Akten und aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte einer dysfunktionalen Familie. Ein Film, der dank eines exzellenten Drehbuchs, eines  großartigen Ensembles und einer auf den Punkt zugespitzten Dramaturgie das Publikum einlädt, sich  existenziellen Fragen zu stellen. Über das Lieben, das Leben – und das Sterben.

In mehreren Akten dekliniert Glasners Drehbuch die Befindlichkeiten einer Familie, deren Dysfunktionalität nicht darüber hinwegtäuscht, dass es trotz aller Überzeichnung, viele Momente gibt, die nachvollziehbar und menschlich „normal“ wirken. Der dreistündige Film wird durch die exzellente Besetzung getragen, allen voran Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lillith Stangenberg und Robert Gwisdek als manisch-depressiver Komponist Bernard. Man spürt, wie die Figuren sich aneinander reiben. Und man spürt, dass jeder einzelne innere Konflikt irgendwie in dem Familienkonstrukt seinen Anfang findet. Keine der Figuren weckt wirkliche Sympathie – doch durch den Mut Glasners, die Charaktere mit Ecken und Kanten auszustatten, werden sie zu „echten“ Menschen, deren Handeln man nachvollziehen kann.
Mit großer Ruhe und Kraft vorgetragen, wirken die Dialoge kunstvoll und auf den Punkt. Doch der gestaute Ärger, der verdrängte Frust, die nie zugelassene Trauer lassen einzelne Dialogszenen förmlich explodieren, hin zu Offenbarungen, die auch für das Publikum schmerzvoll sein können. Die Komposition „Sterben“ gibt dem Film nicht nur seinen Titel, sondern auch seine Stimmung, die zwischen Melancholie, trockenem Humor, Dramatik und abgestumpfter Kühle hin- und herpendelt.

In seiner künstlerischen und darstellerischen Konsequenz ist STERBEN eine absolute Herausforderung. Und eine überaus lohnende noch dazu.


Sterben (Michael Atzinger, BR-Klassik.de)

Lars Eidinger ist großartig: In Matthias Glasners Film „Sterben“ spielt er an der Seite von Corinna Harfouch einen Dirigenten, der mit den Zumutungen des Lebens konfrontiert wird. Ein subtiles, manchmal auch komisches Meisterwerk.

„Ich ruf dich morgen oder übermorgen an, dann machen wir was aus“, sagt Tom Lunies, gespielt von Lars Eidinger. Der Dirigent will nicht zu seinen Eltern fahren, aber als der Vater im Sterben liegt, muss er. „Ich freu‘ mich immer, wenn du kommst“, lügt ihm seine Mutter schief lächelnd ins Gesicht, um anschließend sein Leben zu demontieren. Kein Wunschkind, ein Unfall sei er gewesen. Und sie habe ihn, als er klein war, wohl auch mal „fallengelassen“ oder vielleicht auch „runtergeworfen“, sie könne sich nicht mehr so genau erinnern. Schier atemraubend ist dieser Dialog zwischen Mutter und Sohn. Corinna Harfouch serviert ihre Ungeheuerlichkeiten mit brüchiger Stimme und wie nebenbei – und Lars Eidingers Gesicht wechselt unmerklich von ungläubigem Erstaunen zu bodenlosem Entsetzen. Und dann sagt er das Schlimmste, was man zu seiner Mutter sagen kann: „Ich ertrag es einfach nicht, mit dir Kontakt zu haben.“

Symphonie eines Familienfiaskos
Germany Tom fährt nach Berlin zurück – um dort eine weitere Baustelle zu beackern: Sein überreizter und von Selbstzweifeln gequälter Komponistenfreund Bernard hadert kurz vor der Uraufführung mit seinem neuen Stück, legt sich mit Orchester, Dirigent und Solistin an und bringt das Dilemma der neuen Musik auf den Punkt: „Man muss als Künstler den ganzen Kram so vereinfachen, dass ihn irgendjemand versteht. Oder du bist authentisch – und niemand versteht dich. Und du landest in der Klapse.“ Die Uraufführung – gedreht in der Berliner Philharmonie mit live spielendem Orchester und gefülltem Saal – wird zum Fiasko. Die Vorstellung wirft ein weiteres Schlaglicht auf Toms Familie: Seine Schwester sitzt im Publikum und reagiert auf Toms Anwesenheit mit einem grauenvollen Hustenanfall.

Behutsam komponiertes Meisterwerk
„Sterben“ ist ein trotz seiner Wucht behutsam komponiertes, sehr musikalisches und mit einer Reihe von witzigen Szenen garniertes Meisterwerk. Der Film erzählt von Siechtum und Lebenslügen, von kaputten Familienstrukturen und völlig aus der Spur laufenden Biografien – und von einem Musiker, der unfreiwillig ständig zwischen die Fronten gerät. An Heiligabend wird Tom zu seinem Komponistenfreund Bernard gerufen; und der stellt ihn selbstsüchtig vor ein unlösbares Dilemma. Tom findet seinen Frieden erst wieder, als seine Schwester aus seinem Leben verschwindet und es mit dem Sterben der anderen vorbei ist.


»Sterben«: So absurd lustig und todtraurig ist das Leben davor (Michael Sennhauser, SRF)

Ein Meisterwerk: Der Film »Sterben« führt uns die Intensität des Lebens und die Unverschämtheit des Todes vor Augen.

Zu Beginn sitzt Lissy (die einmal mehr großartige Corinna Harfouch) wortwörtlich in der Scheiße. Ihr dementer Mann Gerd hat die Wohnung wieder einmal ohne Hose und Unterhose verlassen. Und weil Lissy selbst krank ist, kann sie kaum mehr aufstehen vom verkackten Teppich.

Nein, das ist nicht lustig
Matthias Glasners «Sterben» ist keine Komödie. Diese ersten Szenen des Films fahren ziemlich ein, unter anderem darum, weil Glasner und seine Darstellenden den komischen Aspekten nicht ausweichen.
Dass Lissy mit ihren verdreckten Händen einen Anruf von ihrem Sohn Tom entgegennehmen muss, ist scheußlich. Aber Corinna Harfouchs Blick auf das Telefon, als sie es an der Nase vorbei ans Ohr führen muss, der ist auch irgendwie hinreißend.
Der Sohn hat eigentlich gar keine Zeit für seine Mutter. Das hört sie schnell, als er erklärt, er habe eben ein Kind zur Welt gebracht. Und so fragt sie ihn denn nur pflichtschuldig, ob es Mutter und Kind gut gehe.

Elektroauto behindert Waldverstreuung
Mutter und Sohn können nicht so richtig miteinander am Telefon. Sie können es überhaupt nicht so miteinander, wie wir später erfahren. In einer der absurdesten Konfessionsszenen, die das deutsche Kino je hervorgebracht hat: Am Esstisch in der Wohnung der Eltern bei Kaffee und Kuchen, als Tom eben die Waldverstreuung der Asche seines Vaters verpasst hat, weil das Elektroauto die Strecke über Land nicht verkraftete.

Auf schmalem Grat
Tom ist Dirigent, er arbeitet in Berlin an der Uraufführung der Komposition seines besten Freundes. Das Stück heißt »Sterben« und es muss, in den Worten des Komponisten, auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunstkomposition wandeln. ‚
»Der schmale Grat« ist auch ein Kapitel des Films. Und wir dürfen konstatieren: »Sterben« gelingt der Balanceakt in einigen glorreichen Momenten. Die erleben wir, wenn Ellen ins Spiel kommt.

Verkatert in die Zahnarztpraxis
Ellen (Lilith Stangenberg) ist Toms jüngere Schwester und attraktive Alkoholikerin und Dentalassistentin. Zu Beginn ihres Kapitels wacht sie verkatert in einem anderen Land auf, schafft es dann aber noch rechtzeitig in die Zahnarztpraxis. Ihrem Zahnarzt-Lover (Ronald Zehrfeld) erklärt sie, sie habe einen Beruf gewollt, den alle hassen: um das Gegenteil des Wow-Effekts zu erreichen, den ihr Dirigentenbruder stets auslöse.

»Sterben« ist erschöpfend – aber befriedigt
In dieser fragmentierten Nacherzählung könnte das alles auch eine Klamotte sein. Aber Glasners Film hat den großen Atem und den Kunstwillen, der ihn zu etwas Bleibendem macht.
Allein schon die Probenszenen für das Stück »Sterben«, mit Orchester und Kinderchor, samt neurotisch selbstverzweifelndem Komponisten sorgen dafür, dass sich der Film nie so ernst nimmt, dass das Publikum darauf verzichten könnte.
Nach drei Stunden und drei Minuten entlässt uns »Sterben« erschöpft und auf vertraute Weise befriedigt. Denn vieles, von dem, was da auf uns eingeprasselt ist, kennen wir. Und bei etlichem davon sind wir froh, es nicht in dieser Heftigkeit zu kennen.

Ein deutscher Film, der den »schmalen Grat« nicht nur zu benennen weiß, sondern ihn auch meistert. Das ist mehr als der »Furz ins Gesicht der Avantgarde« als den ein Kritiker die Komposition »Sterben« nach ihrer definitiven, postumen Uraufführung bezeichnet.