Kino / Nachlese

Was will der Lama mit dem Gewehr?

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BHU/Taiwan/F/USA 23, R: PawoChoyning Dorji, FSK: o.A., 107 min

Die ganze Welt erstickt in Chaos und Krieg. Die ganze Welt? Nein, in Bhutan, einem kleinen buddhistischen Königreich im Himalaya, ist die Welt noch in Ordnung. 2006 wandelt sich der Himalaya-Staat Bhutan zu einer parlamentarischen Monarchie und unbeeindruckt von den Irrungen und Wirrungen der Welt thront es über den Dingen in herrlicher Berglandschaft. Doch der König hegt Pläne, die keinen Stein auf dem anderen lassen sollen. Nicht nur will er seinen Untertanen Zugang zu Internet und Fernsehen ermöglichen, er plant sogar die Einführung der Demokratie. All dies, um sein Volk glücklich zu machen. (Wir sind doch schon glücklich, denken sich die Menschen verwirrt.)

Bevor es zu den ersten Wahlen kommt, beauftragt ein buddhistischer Lama aus einem Bergdorf einen jungen Mönch, für eine mysteriöse Zeremonie ein Gewehr zu besorgen. Derweil stößt die angereiste Leiterin der Wahlkommission beim Versuch, Probewahlen zu organisieren, auf allerlei Widrigkeiten … Die Spannung im Dorf steigt, die Vorfreude ist riesig – aber was will der Lama mit dem Gewehr?

Ein warmherziger, von Laiendarstellern authentisch gespielter Film, der Elemente von Road Movie, Politsatire und Komödie kombiniert. Er besticht durch lakonischen Humor und den zärtlichen Blick auf die Figuren mit ihren menschlichen Schwächen, die sich einfallsreich und mit bewundernswerter Gelassenheit auf das Abenteuer Demokratie einlassen.

Der Film läuft auch am Mi 09.10. | 19:30 Uhr im Kronenkino Zittau.

Das Grundrecht auf Glück

In der Verfassung des Staates Bhutan ist das Grundrecht auf Glück ein garantiertes Rechtsgut. Deshalb ist Bhutan der einzige Staat weltweit, der ein „Brutto-Nationalglück“ als Entwicklungsmaßstab anstelle des Bruttoinlandsproduktes festgelegt hat. Dieser Index ist zum Beispiel in der Lage, Faktoren der Lebensqualität wie saubere Gewässer zu erfassen.

Ecuador und Bolivien gingen einen ähnlichen Weg und verankerten das indigene Prinzip des Sumak kawsay („Gutes Leben“, spanisch „buen vivir“) 2008 und 2009 in ihren Verfassungen.

In Deutschland forderte übrigens die Piratenpartei die Einführung des Bruttonationalglücks als Index der Entwicklung.

Stimmen zum Film: 

Was will der Lama mit dem Gewehr? (Gaby Sikorski, Programmkino.de)

Wie in seinem zauberhaften Kinodebüt „Lunana – Das Glück liegt im Himalaya“ (2019) geht es auch in Pawo Choyning Dorjis neuem Film um das kleine Königreich Bhutan, das nach Modernisierung strebt: Gleich nach Fernsehen und Internet soll auf Befehl des Königs die Demokratie in Bhutan eingeführt werden.
Und wieder ist Pawo Choyning Dorji eine großartige Komödie gelungen, die scheinbar harmlos und beinahe niedlich daherkommt, aber nicht an kritischen Anspielungen in Richtung Kapitalismus und Globalisierung spart: eine entzückende Satire!

Der Film spielt im Jahr 2006, als der König von Bhutan seine Abdankung ankündigt, damit sein Land eine Demokratie werden kann. Dafür soll das Volk von Bhutan angemessen vorbereitet werden: Es sollen Testwahlen stattfinden, bei denen so ungewohnte Verrichtungen wie die Stimmabgabe erstmal ausprobiert werden können, ebenso wie der Wahlkampf, den drei fiktive Parteien gegeneinander führen sollen. Eine echte Herausforderung angesichts der unerfahrenen Landbevölkerung, aber die engagierte Wahlleiterin Tshering Yangden (Pema Zangmo Sherpa) gibt ihr Bestes, damit die ersten demokratischen Wahlen in Bhutan ein Erfolg werden. Womit sie nicht gerechnet hat, ist: Die Wahlen wecken auch Begehrlichkeiten, wenn es nicht nur um Möglichkeiten der Mitbestimmung, sondern auch um Posten, Ruhm und Geld geht. Parallel dazu wird die Geschichte des Mönchs Tashi (Tandin Wangchuk) erzählt, der im Auftrag seines Lamas bis zum nächsten Vollmond zwei Gewehre beschaffen soll. Wofür die Gewehre benötigt werden, bleibt im Dunkeln, aber als gehorsamer Mönch erfüllt Tashi seinen Auftrag. Dabei ahnt er nicht, dass die beiden einzigen Gewehre, die er in dem friedliebenden Land finden kann, auch die Aufmerksamkeit eines aufgeweckten Händlers (Tandin Sonam) geweckt haben.

Den Hintergrund bilden wieder die majestätischen Gipfel des Himalaya, während im Vordergrund die drei Personen stehen. Pawo Choyning Dorji erzählt zusätzlich zu seiner starken Story wieder viel vom Alltag in Bhutan, diesem kleinen Land mitten im Himalaya, übrigens der einzige Staat, der tatsächlich klimaneutral lebt und, wie wir seit „Lunana“ wissen, auch deshalb einmalig, weil er das „Bruttonationalglück“ und nicht die Wirtschaftskonjunktur als Faktor für die Entwicklung des Landes festlegt. Da es in Bhutan mit seinen knapp 800.000 Einwohnern keine Schauspielszene gibt, hat Dorji wieder mit Laiendarstellern gearbeitet, die ebenso wie in „Lunana“ so natürlich und ungekünstelt spielen, dass man sie einfach ins Herz schließen muss. Die bewährte Kameraarbeit von Jigme Tenzing fängt wunderbare Landschaftsbilder ein, in denen immer mal deutlich wird, wie klein der Mensch gegenüber der Natur ist. Er präsentiert das Land Bhutan in seiner ganzen Vielfalt und Schönheit – idyllische Bergdörfer, ein buddhistisches Kloster, das am Felsen klebt, sattgrüne Täler, eisige Höhen und ein Regenbogen, der sich übers Land spannt.

In ruhigen Bildern zeigt Pawo Choyning Dorji mit viel Liebe und Humor sein Land als Ort, wo die Menschen mit der Natur leben, der sie denselben Respekt erweisen wie der Religion und ihren Mitmenschen. Dorji, ein erklärter Tarantino-Fan, spart in seiner tatsächlich ziemlich spannenden Geschichte nicht mit Anspielungen und ironischen Kommentaren zum Fortschritt, der bekanntlich oft mehr zerstört als erreicht. Er feiert mit liebenswürdigem, scharfsinnigem Humor, aber auch mit einer beeindruckenden visuellen Eleganz die Unschuld und Pfiffigkeit seiner Landsleute, die ziemlich genau wissen, in welch beklagenswertem Zustand sich die Erde und die Menschheit befinden. Doch vor allem jüngere Leute sehnen für Bhutan die Modernisierung herbei, der sie mit naiver Freude begegnen. Das gilt für einen Fernseher, der erstmal gesegnet werden muss, wie für die geplanten Wahlen, die mit ihren unerwünschten Nebenwirkungen in Gestalt von Rivalitäten innerhalb der Dorfbevölkerung, für Unruhe sorgen und den Wahlkampf bis in die Familien tragen. Die Wahlleiterin Tshering Yangden will bei der Landbevölkerung nicht nur für Aufklärung hinsichtlich der demokratischen Neuerungen sorgen, sondern auch die Folgeerscheinungen irgendwie bewältigen. Dadurch gerät sie selbst in Zweifel, denn warum soll es unterschiedliche Parteien geben, wenn das zu Unfrieden zwischen den Familien führt? Es waren doch alle glücklich …

Pawo Choyning Dorji macht aus einer scheinbar treuherzigen Geschichte eine ziemlich gepfefferte Allegorie, in der er der gesamten Welt den Spiegel vorhält und zeigt, dass es auch anders ginge. Denn von Bhutan lernen heißt glücklich werden. Und mit Weisheit und Geschicklichkeit lassen sich vielleicht mehr Probleme lösen, als man denkt.


Politsatire aus Bhutan: „Was will der Lama mit dem Gewehr?“
(Bettina Dunkel, Bayrischer Rundfunk)

Wie schon in seinem gefeierten Regiedebüt „Lunana“ beschäftigt sich Filmemacher Pawo Choyning Dorji in seinem neuen Film „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ mit den Auswirkungen moderner Errungenschaften auf sein Heimatland Bhutan. Eine Filmkritik.

Es dürfte eine der interessantesten Fragen sein, die dieses Jahr im Kino gestellt wird: Was will ein Lama, also ein für friedliches Miteinander stehender Lehrmeister des Buddhismus, mit einem Gewehr? Genau genommen: mit zwei Gewehren? Darüber irritiert ist nicht nur Tashi, der junge Mönch, der sie besorgen soll, jedoch noch nie in seinem Leben eine Schusswaffe gesehen, geschweige denn in Händen gehalten hat. Vom Lama bekommt er nur die Antwort: „Unser Land, es verändert sich. Die Dinge müssen wieder in Ordnung kommen. Es herrscht großes Chaos.“

Der Mönch begibt sich in eine dubiose Zivilisation

Konkreter wird es erstmal nicht, aber Tashi genügen die kryptischen Worte als Argument, um sein abgelegenes Bergkloster im Himalaya zu verlassen und den Wunsch seines spirituellen Vorgesetzten zu erfüllen. Je näher er der Stadt kommt, desto dubioser werden die Ausläufer der Zivilisation. Und desto schicksalsträchtiger werden seine Bekanntschaften – sei es ein zwielichtiger amerikanischer Waffenhändler oder jener britische Leinwandheld mit der Lizenz zum Töten, der fleißig mit all den Exportschlagern herumfuchtelt, die Tashi sucht.

Sanfter, aber bestimmter Humor

Dieses wundersame und stetige Aufeinanderprallen von scheinbar naiver Tradition und potentiell destruktiver Moderne ist die Basis von „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ – einer Politsatire aus Bhutan, deren Humor so sanft, aber bestimmt ist wie das Lächeln des Dalai Lama.

Wie schon in seinem für den Oscar nominierten Regiedebüt „Lunana“ beschäftigt sich Filmemacher Pawo Choyning Dorji mit den Auswirkungen moderner Errungenschaften auf sein Heimatland. Diesmal geht es um die Einführung demokratischer Wahlen, die 2008 erstmals in Bhutan abgehalten wurden. Der König selbst hatte die konstitutionelle Monarchie abgeschafft und aus freien Stücken abgedankt. Vor allem die ländliche Bevölkerung reagierte mit Skepsis und befürchtete eher Rück- als Fortschritte.

Wenn die Macht aus dem Gleichgewicht gerät

In vier Handlungssträngen, die langsam miteinander verwoben werden, beleuchtet der Film, wie die Machtverlagerung selbst ein Land aus dem Gleichgewicht bringen kann, in dem das sogenannte „Bruttonationalglück“ statistisch erhoben wird. Kapitalismus unterwandert Gottvertrauen, Familien und Nachbarn zerstreiten sich, Wahlhelfer lassen sich von internationalen Medien unter Druck setzen. Auch wenn die meisten von ihnen nur Gutes im Sinn haben: Dass der unbedingte Wille zur Modernisierung eines Landes sowohl positive als auch negative Effekte hat, gehört zur Natur der Dinge.

Aber Spaltung, so die Botschaft dieses meditativ-kritischen Films, kann überwunden werden. Das charmante Ende, in dem das Ansinnen des Lamas schlussendlich aufgelöst wird, transportiert die Hoffnung, dass Einheit keine Utopie ist. Auch wenn Bhutan auf der politischen Weltkarte unbedeutend sein mag: Selbst die größten Nationen können von der jüngsten Demokratie der Erde noch so einiges lernen. Sie müssen nur wollen.